Soziales Ärgernis: Ungleichheit

Es gibt ein Bedürfnis nach Egalität: Menschen befriedigen es auch dann, wenn die eigenen Interessen dagegen sprechen.

Jedes Frühjahr, wenn die Aktiengesellschaften ihre Hauptversammlungen abhalten und auch die Bezüge der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder festsetzen, beginnt ein Ritual: „Schamlose Bereicherung“, rufen die einen, „Neid-Debatte“, entgegnen die anderen. Aber ist es Neid – oder sitzt ein Bedürfnis nach Gleichheit tief in uns?

Das tut es zumindest bei Studenten, die James Fowler, Politologe an der University of California, San Diego, zu einem Spiel ins Labor bat. Das folgte teilweise den Regeln des „Public Goods Game“, das oft durchgespielt wurde, um herauszufinden, wie es zu Kooperation kommt: Alle Teilnehmer bekommen Geld, echtes, sie können einen Teil davon in einen gemeinsamen Pool investieren, dessen Inhalt wird an alle ausgeschüttet. Je mehr einzahlen, desto größer wird das allgemeine Wohl (und die Ausschüttung für jedes Individuum); aber wer überhaupt nichts einzahlt, fährt am besten, er hat keine Kosten, nur Gewinn.

Den können ihm die anderen verderben: Sie können Trittbrettfahrer bestrafen, ihnen Geld wegnehmen, aber das kostet auch sie selbst Geld. Ökonomisch haben sie nichts davon, viele tun es doch: Das „altruistische Bestrafen“ gilt als Wurzel der „altruistischen Hilfe“ – das sind gute Taten, die sich nie bezahlt machen –, und beides gilt als Grundlage des Zusammenlebens bzw. der Normen, die es regeln.

Das ist für eingangs erwähnte Aktionärsversammlung bzw. die ökonomische Theorie schon befremdlich genug, es ist auch für die Evolutionsbiologie eine harte Nuss: Beide gehen davon aus, dass die Triebkraft des Handelns der Eigennutz ist und dass man nichts für andere tut, wenn es sich nicht auszahlt. Oder ist das funktionierende Zusammenleben selbst ein Wert, den man in das ökonomische Kalkül integrieren könnte?

Gleichheit mit Opfer erkauft

Vermutlich. Aber sicher nicht mehr in dieses Kalkül passt, was die Testpersonen im Labor Fowlers taten: Bei ihnen ging es nicht um Kooperation und Bestrafen eines (unkooperativen) Handelns, bei ihnen ging es um den Grundsatz. Personen kamen durch Zufall in eine Gruppe, jede bekam, wieder durch Zufall, eine gewisse Menge Geld. Mit dem konnte sie tun, was sie wollte, entweder gar nichts oder Ärmeren etwas davon schenken – oder Reichere damit ärmer machen (man musste vom eigenen Geld etwas opfern, den Reichen wurde dafür mehr abgezogen). Es geht also um die Gestaltung der sozialen Situation und die alte Frage: Wollen Menschen Gleichheit?

Die im Labor – wie gesagt: US-Studenten – wollten es: 68Prozent reduzierten hohe Vermögen anderer auf eigene Kosten, umgekehrt floss – vor allem von Reichen – Geld an Arme (Nature, 446, S.794). Daneben flossen Emotionen, auch das erinnert an Hauptversammlungen: Obwohl alle Beteiligten wussten, dass es ein Spiel ist und sie die anderen nie wieder sehen – und obwohl in folgenden Runden Arme reich und Reiche arm wurden –, schlug den Reichen Bitterkeit entgegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.