Kulturwissenschaften: Die Qual der schamlosen Blicke

Eine Tagung in Wien will die Macht von Gewaltbildern klären – und behandelt etwa das Verhältnis von Folterfotos und Pornografie.

Eine Frau führt einen nackten Mann an der Hundeleine. Mehrere nackte Männer sitzen Körper an Körper in einem Raum. Zwei nackte Männer sind mit Handschellen aneinandergekettet. Was im Normalfall Pornografie wäre, ist es in diesem Fall nicht: Die Bilder aus dem US-Militärgefängnis Abu Ghraib sind Folterbilder. Lassen sich pornografische Bilder und Bilder von Folterungen gleichsetzen? Diese Frage stellt die Kulturpädagogin Gabriele Werner in ihrem Vortag „Schamlose Blicke“ bei der Tagung „Scham und Blick. Das visuelle Feld als Kampfzone“, veranstaltet vom Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaft (IFK) in Wien.

Werners Antwort ist klar: Nein! „Als die Fotos veröffentlicht wurden, wurden sie mit Pasolinis ,120 Tage in Sodom‘ vergleichen. Auch dadurch drängte sich der Konnex zur Pornografie auf.“ In dem auf de Sades Buch beruhenden Film werden Männer und Frauen als Lust- und Folterobjekt missbraucht und erniedrigt, schließlich in einer perversen Orgie zu Tode gequält.

Bilder sind selbst Folter...

Pornografie und Folterbilder – wieso werden sie oft in einem Atemzug genannt? „Das Verbindende ist die Scham. Wobei in der Pornografie das Schamgefühl bei den Handelnden in der Regel gering ist – es tritt eher beim Konsumenten auf. Die Folterbilder sind hingegen für die Gefolterten unmittelbar beschämend. Schon die Nacktheit ist Folter – sie macht schutzlos, liefert aus.“

Dass die Bilder von Abu Ghraib mit Pornografie gleichgesetzt wurden, sei ihr unheimlich gewesen, sagt Werner. „Auf akademischer Ebene solche Vergleiche anzustellen ist schwierig. Um mit Eric Hobsbawn zu sprechen: Es ist ein widerliches Thema. Aber ich glaube, es ist wichtig, Erklärungsstrategien darzulegen, Unterschiede darzulegen, die wegführen vom Gleichsetzen.“

...nicht nur Beweismittel...

Der Hauptunterschied sei die zugrunde liegende Handlung: im einen Fall Sex, im anderen Gewalt. Macht die Veröffentlichung solcher Bilder die Situation für die Opfer nicht noch schlimmer? „Wenn es eine moralische Übereinkunft gäbe, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, würden solche Bilder nicht erscheinen“, sagt Werner. In der heutigen Medienwelt sei das allerdings unrealistisch. „Wichtig ist zu fragen: Wie wurden die Bilder benutzt, welche Intentionen wurden mit ihrer Veröffentlichung verfolgt? Als Beweismittel ist es notwendig, solche Fotos zu haben. Aber die Verbindung zur Pornografie – das sind noch zusätzliche Demütigungen.“ – Susan Sontag sah das in einem Essay ähnlich. „Es fehlte etwas, wenn man, nachdem man nackte Männer aufeinandergestapelt hätte, nicht ein Foto von ihnen machen könnte.“ Mit Sex werde Folter wohl nur attraktiver, sammelnswerter. Folter wie Pornografie verankert Sontag im amerikanischen Alltag, in der zunehmenden Verrohung des Gefühlslebens einer Gesellschaft, die „die Fantasien und die Praxis der Gewalt als gute Unterhaltung, als Fun ansieht“.

Eine Dramaturgie des Schreckens erkennt Werner in der Reihenfolge, in der die Bilder an die Öffentlichkeit kamen: „Zuerst waren einzelne nackte Menschen zu sehen, dann aufeinandergeschichtete nackte Körper, dann sah man, wie eine Wärterin sich über den Penis eines nackten Mannes lustig machte.“ Für einen Araber seien solche Szenarien besonders erniedrigend. Werner: „Bilder, die in Richtung Homosexualität gedeutet werden, und die Erniedrigung durch eine Frau – das gehört zum Schlimmsten für einen arabischen Mann.“

...sondern zusätzliche Entehrung

Über Beschämung und Ehre in der muslimischen Rezeption wird der Orientalist Rüdiger Lohlker sprechen. „Dazu ist zuerst einmal zu klären, was ,Ehre‘ im arabisch-türkischen Raum heißt. Ehrenvoll zu handeln bedeutet, in der richtigen Situation das Richtige zu tun. In meinem Vortrag möchte ich zeigen, wie die Gefolterten auf arabischen Websites dargestellt werden.“ Eine angemessene, „ehrenvolle“, Verhaltensweise sei für diese nicht möglich gewesen. „Eine derartige sexuelle Degradierung durch Nacktheit und Homosexualität ist für einen arabischen Mann undenkbar. Durch das Ausmaß der Entmenschlichung haben die USA in den arabischen Ländern jeden moralischen Kredit verspielt. Die Beschämung der arabischen Männer wurde in eine Beschämung der USA gewendet.“

Aufzuhalten sei dieser Krieg der Bilder ebenso wenig wie der Krieg gegen den Terror, meint Sontag. Jeder Versuch, solche Fotos der Öffentlichkeit vorzuenthalten oder ihre Verbreitung als unpatriotisch zu brandmarken, müsse scheitern. „In unserem digitalen Spiegelsaal werden die Bilder nicht verschwinden. Die Fotos – das sind wir.“

Inline Flex[Faktbox] TAGUNG: Wann, wo?("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2007)

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