Primatologie: Zuerst redete man mit den Händen

Beobachtungen an Schimpansen zeigen: Gestik ist eine komplexe Sprache – und war ein wichtiger Ursprung unserer akustischen Kommunikation.

Und womit red' ich dann?“ – sagt der Mann, dem man erklärt, dass man beim Telefonieren mit einer Hand den Hörer hält und mit der anderen Hand tüchtig kurbelt. Der Witz mag technologisch nicht auf dem neuesten Stand sein, aber er erzählt eine tiefe Wahrheit: Am Ursprung der Sprache steht das Reden mit den Händen, die Gestik.

Das zeigt schon ihre Gegenwart: So haben heutige Telefonierer sehr wohl eine Hand frei und nützen sie, wie man heitererweise oft in der Straßenbahn sieht, auch dann zum Gestikulieren, wenn der Gesprächspartner gar nicht nahe ist. Blinde verwenden Gestik, genauso wie Sehende, die vor einem blinden Auditorium sprechen.

Aber für die Ursprünglichkeit der Gestik spricht auch ihre Einzigartigkeit bei Menschen und Menschenaffen, die Zoologen unter Hominidae zusammenfassen. Alle Primaten kommunizieren mit Lauten, Mimik und Körperhaltung, doch die Gestik im engeren Sinn – Bewegungen der Hände (und Füße), die sich auf ein anderes Individuum richten und ihm etwas mitteilen – ist typisch für Menschen, Bonobos, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans.

Natürlich kennen z.B. Schimpansen auch Kommunikation mit Lauten, deren Beschränktheit zeigten aber die gescheiterten Versuche, ihnen eine Lautsprache beizubringen. Gescheitert sind sie erstens an der Anatomie des Mundwerks: Bei Schimpansen sitzt der Kehlkopf zu hoch. Zweitens wohl auch am Gehirn der Schimpansen, das eine subtile Kontrolle der Laute nicht gestattet, wofür wohl u.a. das Gen „Spch1“ (siehe Kasten) verantwortlich ist.

Bei Menschen kennt man vor allem zwei Hirnareale, die für Sprache wichtig sind, beide in der linken Hirnhälfte. Das Broca-Zentrum ist, grob gesprochen, für Produktion und Bedeutung von Lauten zuständig, das Wernicke-Zentrum für den Aufbau von Sätzen. Schimpansen haben ein Homolog zum Broca-Zentrum: Dieses ist aber nicht bei der Produktion und Wahrnehmung von Lauten aktiv, sondern von Gesten.

Der populäre Primatenforscher Frans de Waal und seine Mitarbeiterin Amy Pollick fragten sich nun: Sind Gesten bei Schimpansen und den uns Menschen genauso nahe resp. fern verwandten Bonobos die „fortschrittlichere“, die freiere Art der Kommunikation? Sind sie flexibler, weniger fixiert, vielleicht sogar „kulturell“ variabel?

Bonobos: Flexiblere Gestik

Dazu beobachteten sie zwei Bonobo-Gruppen mit sechs und sieben Individuen im Zoo resp. im „Wild Animal Park“ von San Diego sowie zwei Schimpansen-Gruppen mit je 17 Tieren im Primatenforschungszentrum in Lawrenceville, Georgia. In ihrer Studie (Pnas, online 1.5.) unterscheiden sie 31 Gesten und 18 lautliche und mimische Signale. Dabei ist schon signifikant, dass zwar die Laute bei den beiden Arten sehr ähnliche Bedeutung haben, aber nicht die Gesten. Diese sind auch innerhalb einer Art weniger an eine bestimmte Situation gebunden, müssen also mehr interpretiert werden. Ihre Verwendung unterscheidet sich auch tatsächlich von Gruppe zu Gruppe.

Dabei scheinen Bonobos dem menschlichen Ideal einer Lautsprache näher als Schimpansen: Ihre vokale Kommunikation wirkt mehr „dialogartig“ (de Waal/Pollick), sie erzeugen z.B. sanfte Piepser, um Ereignisse zu „kommentieren“. Ihre Gestik ist flexibler als die der Schimpansen. Und sie verwenden „multimodale Kommunikation“ – also Kombinationen aus Gesten und Lauten –, die offensichtlich von den Rezipienten „verstanden“ wird. „Wir vermuten“, schreiben de Waal und Pollick, „dass das variable Gestik-Repertoire der Bonobos und ihre hohe Sensibilität für kombinierte Signale auch unsere frühen Vorfahren ausgezeichnet haben“, das sei wohl ein wesentlicher Vorläufer für die Entwicklung symbolischer Kommunikation gewesen.

So stützt diese Arbeit die These: Gesten sind 1) evolutionär jünger als Laute und 2) stärker unter Kontrolle der Großhirnrinde. Ihre Entwicklung legte die Basis, auf der sich die Lautsprache entwickeln konnte. Wieso diese – wohl nach einer zweigleisigen Periode – die Führung übernahm? Vielleicht ist ihr großer Vorteil, dass sie besser zur Abstraktion geeignet ist. Vielleicht aber auch, dass sie auch im Dunklen und bei größerer Entfernung funktioniert.

Inline Flex[Faktbox] EIN „SPRACH-GEN“("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2007)

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