Kulturgeschichte: Täglich zweieinhalb Kilo Schokolade

Reizvolle Details zum österreichischen Schokoladekonsum fand ein Historiker in Wiener Archiven.

Sechs silberne, mit Holz überzogene Schokoladebecher verzeichnet im Jahr 1740 das Silberinventar Maria Theresias, liest man bei der Wiener Historikerin und „Silberkammer“-Expertin Ingrid Haslinger. Acht Jahre später sind es zwölf Schokoladeschalen mit zwei Bechern, zwei Schokoladekannen, sechs silberne Schokoladetassen.

Das reicht nicht einmal für ein Mini-Bankett. Schokolade (getrunken, nicht gegessen) war im Maria-Theresianischen Österreich ein exklusiv-intimes Luxusgetränk, beliebt zum Frühstück (im Bett). Glaubt man dem deutschen Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch, hat die Schokolade (auch wenn die Bohnen dafür vom Orinoko oder Amazonas kamen) sogar einen ausgesprochen katholisch-barocken sinnenfreudigen Charakter, im Gegensatz zum „deutscheren“ protestantisch-asketischen Kaffee.

Das „von Natur aus“ schokoladeaffine Österreich: ein hübsches, aber wissenschaftlich windiges Konstrukt, meint der Wiener Historiker Roland Graf. Unbestreitbar aber war Wien im 17. und 18. Jahrhundert eine Schokoladehochburg. Schon im frühen 17. Jahrhundert wurde das Getränk in Wien eingeführt, im 18. konnte man es schon im Kaffeehaus trinken.

Für seine Studie zur Schokoladegeschichte im Mitteleuropa des 16. bis 18. Jahrhunderts („Adeliger Luxus und Städtische Armut. Eine soziokulturelle Studie zur Geschichte der Schokolade in Mitteleuropa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“, Verlag Turia + Kant) hat Graf in Wiener Archiven gestöbert und reizvolle Details gefunden; etwa, dass Maria Theresia einen eigenen Schokolademacher beschäftigte, der sowohl fertige Schokolade in Italien einkaufte als auch Kakao; oder dass der Hof zwischen 1758 und 1759 fast zweieinhalb Kilo Schokolade täglich konsumierte und ungefähr so viel dafür ausgab wie für Bier.

Schokoladenmacher in fast allen Gassen

Zu dieser Zeit hatte sich die Schokolade aber auch schon „verbürgerlicht“, das zeigt etwa ein Schreiben des Wiener Stadtrates von 1757 über Missbräuche beim Wiener Schokolademacher-Gewerbe: Der Schokoladekonsum beginne allgemein zu werden, heißt es da. Immer häuslicher wird die Schokolade, sie wird als Masse gekauft, gelagert und nach Bedarf zum Getränk verarbeitet. „In fast allen Gassen“ gebe es Schokolademacher, schrieb ein gewisser Ignaz de Luca im 1787 veröffentlichten Buch „Wiens gegenwärtiger Zustand“.

Mit relativ konstanten 20 bis 30 Meistern sei es trotzdem ein relativ kleines Gewerbe gewesen, betont Graf, vergleichbar dem der Kaffeesieder. Interessant auch der Vergleich mit anderen österreichischen Städten. In Salzburg beispielsweise blieb die Schokolade elitär. Auch Graz verzeichnet in der Zeit von 1720 bis 1819 40 neue Kaffeesieder, aber nur eine einzige Schokolademacherin.

Ende 1778, mit neuen Techniken zum Zerquetschen der Kakaobohnen, gibt es in Frankreich erste Schokoladefabriken, mit der Kakaobutter ist der Weg zur Tafelschokolade frei. Österreich hinkt hinterher: Erst Ende des 19. Jahrhunderts, als schon Suchard und Bensdorp nach Wien drängen, entstehen die großen Wiener Schokoladefabriken, von Manner, Hofbauer, Heller.

Auf die Verbürgerlichung folgte die Verweiblichung: Im 19. Jahrhundert, zeigt Graf, verbannt das bürgerliche Geschlechtsmodell die Schokolade in die Frauen- und Kinderwelt, erst gegen Ende des Jahrhunderts wird sie (vor allem in ihrer bitteren Variante als „Herrenschokolade“) wieder mit Männlichkeit vereinbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2007)

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