Nachruf: Kein Spiegel, sondern ein Hammer

(c) AP (Hasan Sarbakhshian)
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Richard Rorty, amerikanischer Philosoph, ist 75-jährig in Palo Alto, Kalifornien gestorben. Er war ein beredter Vertreter des Pragmatismus, auch politisch.

In ihrer Sicht helfen sowohl Naturwissenschaftler als auch Philosophen, uns in der Welt besser zurechtzufinden. Der einzige Unterschied ist, dass wir eine Theorie ,wissenschaftlich‘ nennen, wenn sie Voraussagen erleichtert – und ,philosophisch‘, wenn sie das nicht tut.“ Diese Sätze Richard Rortys stammen aus seinem Vortrag fürs Wittgenstein-Symposium 2006 in Kirchberg am Wechsel, den er, an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt, nicht mehr selbst halten konnte. So traurig das war, man sah doch viele Zuhörer lächeln, als das Referat des bekennenden Ironikers verlesen wurde – der übrigens, ein kleiner Tribut an den Feminismus, stets von „der Ironikerin“ sprach.

Ironie war für Richard Rorty, 1931 in eine New Yorker Journalistenfamilie geboren, keine Waffe im Kampf um Wahrheit, sondern ein Mittel zur Förderung des Zweifels. Wahrheit sah er ganz im Geist Wittgensteins als „Eigenschaft von Sätzen“ an, damit als abhängig von der Sprache, in der diese Sätze verfasst sind. Das ist ein Motiv für den „Linguistic Turn“ (den ersten von vielen „Turns“, wie sie Kulturwissenschaftler bis heute lieben), den Rorty 1967 als Herausgeber eines gleichnamigen Sammelbandes propagierte.

Im Gegensatz zur Analytischen Philosophie wollte Rorty nicht daran glauben, dass man philosophische Probleme lösen kann, indem man sie besser formuliert. Das müsse scheitern wie jede Erkenntnistheorie. Deren Kritik diente Rortys Hauptwerk „Der Spiegel der Natur“, mit der er sich in die Reihe derer stellte, denen die Philosophie kein Spiegel, sondern ein Hammer ist. Zurück bleibt nur Hermeneutik, der Versuch, Dinge in ihrem Zusammenhang – relativ – zu interpretieren.

„Zerstörer der Philosophie“

„Damals galt Rorty als Zerstörer der Philosophie“, erzählt der Klagenfurter Philosoph Josef Mitterer: „Für mich und andere Philosophen der jüngeren Generation hat er eine ähnlich befreiende Wirkung wie Paul Feyerabend gehabt. Mit seiner Radikalkritik hat er für die Analytische Philosophie das Gleiche geleistet wie Feyerabend für die Wissenschaftstheorie. Von manchen Universitätsphilosophen wird Rorty freilich noch heute als ,Nicht-Philosoph‘ bezeichnet, den es von den Studierenden fernzuhalten gilt.“

Rorty machte es den „Universitätsphilosophen“ nicht immer schwer, sich standesgemäß zu empören: So distanzierte er sich im Essay „A World Without Substances or Essences“ (1994) in großer Geste von der Philosophietradition seit Plato und Aristoteles: „Ihre Beschreibungen unserer Beziehung zum Rest des Universums sind nicht länger gut genug für uns. Wir können es besser.“

„Wir“, das sagte Rorty gerne, und oft ergänzte er es zu „Wir Pragmatisten“, indem er sich in diese (typisch) amerikanische Richtung einreihte, in die Tradition von William James und John Dewey, den er über alle bewunderte, als „Denker, der 60 Jahre damit verbrachte, uns aus der Knechtschaft unter Plato und Kant zu befreien“. Dabei sah Rorty diesen genauso als Metaphysiker wie jenen, als „Essentialisten“ jedenfalls. „Pragmatists do not believe that there is a way things really are“, entgegnete er flott.

Das „Wir“ war für Rorty aber auch ein Bekenntnis zur Empathie: Sprache haben wir keine gemeinsame, sagte er, wohl aber ein gemeinsames Schmerzempfinden. So sei es wesentliche Aufgabe der Gemeinschaft, Grausamkeit zu vermeiden.

Mit dieser pragmatischen Basis für eine Ethik ging Rorty, rhetorisch immer glänzend, auch an Fragen der Politik. Sein „Wir“ hieß in diesem Feld „us anglophone social democrats“, wobei er sich stolz dazu bekannte, nie wirklich Marx gelesen zu haben, das überließ er Derrida. Er konstatierte lieber die Notwendigkeit globaler politischer Institutionen, nur diese könnten „die Macht all dieses wunderbar mobilen Kapitals ausgleichen“. Freilich wusste er: „Mein eigenes Land ist zu arm und zu nervös, um als globaler Polizist zu dienen.“ Das komme eher dem moralisch überlegenen Europa zu.

Die Liebe zu Orchideen

Alte und neue Linke vergrämte er mit dem Essay „Achieving Our Country“. Dann gab er sich wieder bescheiden. „Wir Philosophieprofessoren“ könnten nur Rat anbieten, schrieb er in „Trotsky and the Wild Orchids“, wo er sich fast kokett zu einem „Esoterizismus“ bekannte: zur Liebe zu Orchideen. In ihnen wie in den Vögeln, die er in jeder Universitätsstadt beobachtete, fand er wohl, was er „Kontingenz“ nannte: Zufall, Unberechenbarkeit. Keine Essenz, kein System, keine Lehre, nur die, die er für sich aus Darwin gezogen hatte: „That nature has nothing in mind.“

RICHARD RORTY: Bücher

„The Linguistic Turn“ (1967), „Philosophy and the Mirror of Nature“ (1979), „Consequences of Pragmatism“ (1982), „Contingency, Irony, and Solidarity“ (1989), „Objectivity, Relativism, and Truth“ (1991), „Philosophy and Social Hope“ (2000).

Zuletzt ist bei Cambridge Philosophy as Cultural Politics“, eine Sammlung von „Philosophical Papers“, erschienen. Gewidmet ist es „Ruby Rorty, Flynn Rorty and other grandchildren still to come“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2007)

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