Viele Hürden für geflüchtete Ärzte

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist ein langer Prozess. Bis zu fünf Jahre dauert es, bis aus Syrien und dem Irak geflüchtete Ärzte in ihrem Beruf arbeiten können.

Mustafa Aljorani ist 30 Jahre alt. Er hat als Arzt in Bagdad gearbeitet. Als sunnitischer Muslim wurde er von einer schiitischen Extremistenmiliz terrorisiert. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern floh er über Griechenland und Ungarn nach Österreich, wo er im September 2015 ankam. Wie lang das Asylverfahren dauern wird, ist unklar. In vier bis sechs Monaten soll er das nächste Mal von den Asylbehörden befragt werden.

Aljorani lernt in der Zwischenzeit Deutsch und hilft anderen Ärzten im Wiener Hanusch-Krankenhaus als Übersetzer, erzählt er der „Presse am Sonntag“. Bis er selbst in Österreich als Arzt arbeiten kann, dürfte noch viel Zeit vergehen. Denn die Anerkennung von ausländischen Zeugnissen, auch Nostrifikation genannt, ist ein langwieriger Prozess. Nicht wenige scheitern.

Im jüngsten Wifo-Monatsbericht schreiben die Wifo-Experten Julia Bock-Schappelwein und Peter Huber, dass in Österreich im Jahr 2014 – neue Zahlen liegen noch nicht vor – bei fast 74 Prozent der Asylwerber die von ihnen angegebene Qualifikation formal nicht anerkannt wurde.

Denn die formalen Bildungsabschlüsse der Asylsuchenden entsprechen „nicht immer den österreichischen Qualifikationsanforderungen, können mangels Unterlagen nicht nachgewiesen werden oder werden zumindest nicht immer als den österreichischen Qualifikationen entsprechend wahrgenommen“.

Die „Presse am Sonntag“ hat sich die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt am Beispiel von Ärzten angesehen. Denn immer wieder ist vom drohenden Ärztemangel in Österreich zu lesen. Gleichzeitig sind in den vergangenen Jahren 200 Ärzte aus Syrien nach Österreich geflüchtet. Sie haben auf Facebook die Gruppe Neue syrische Ärzte in Österreich gebildet. Nur wenige haben bislang den Antrag auf Nostrifikation gestellt, weil sie zuerst Deutsch lernen.

Einen guten Überblick über die zugewanderten Mediziner aus dem arabischen Raum hat Tammam Kelani, Augenarzt in Gänserndorf und Groß-Enzersdorf. Kelani lebt schon mehr als 30 Jahre in Österreich und ist seit 2005 Präsident der Österreichischen Arabischen Ärzte und Apotheker Vereinigung. Kelani kennt zwei Ärzte aus Syrien, die von Österreich nach Deutschland weitergezogen sind. Denn in Deutschland soll es für die Asylweber teilweise bessere Bedingungen geben.


Sprache als größte Hürde.
„Die größte Herausforderung für die Zuwanderer ist zunächst die Sprache“, sagt Kelani. Seinen Angaben zufolge brauchen die aus Syrien geflüchteten Ärzte zunächst zwei Jahre für das Erlernen der deutschen Sprache. Die Nostrifikation kann noch einmal bis zu drei Jahre dauern.

Bei der Medizinischen Universität in Wien versichert man, dass die Betroffenen so gut wie möglich unterstützt werden. Für den Anerkennungsprozess müssen ausländische Ärzte zunächst die Zeugnisse und Unterlagen vorlegen. Diese sind bei Antragstellern aus Ländern wie dem Irak und dem Iran zu beglaubigen. Bei Iranern etwa ist die Beglaubigung von drei Behörden notwendig: vom Gesundheits- oder Wissenschafts- und dem Außenministerium in Teheran sowie von der österreichischen Botschaft im Iran. Bei Syrern wird in Anlehnung an das Ärztegesetz derzeit keine Beglaubigung verlangt, weil die Verwaltungsstrukturen in Syrien teilweise zerstört sind.

Doch wie kann in Österreich die Echtheit eines Zeugnisses aus Aleppo überprüft werden? „Man kann nicht irgendein Diplom vorlegen, sondern es gibt internationale Datenbanken, wie Zeugnisse, beispielsweise aus Aleppo, aussehen“, sagt Professor Gerhard Zlabinger von der Medizinischen Universität in Wien. Bei Unklarheiten werden die Antragsteller zu einem Gespräch eingeladen und zum Medizinstudium befragt. Können die Unklarheiten geklärt werden beziehungsweise werden die Dokumente für echt befunden, muss der Stichprobentest absolviert werden. „Dieser ist wichtig. Es werden schriftlich neun klinische Hauptfächer abgefragt. Dafür sind gute Deutschkenntnisse erforderlich“, sagt Zlabinger. Wenn jemand in einem Fach wie beispielsweise in der Chirurgie nicht entspricht, muss er in diesem Fach zur Einzelprüfung antreten.

Im schlimmsten Fall sind neun Einzelprüfungen plus der in jedem Fall vorgeschriebenen vier Pflichtprüfungen notwendig.

An der Medizinischen Universität in Wien sind von Anfang 2015 bis Ende März 2016 insgesamt 28 Anträge von syrischen Ärzten eingelangt – mit steigender Tendenz zu Jahresende 2015. Seit Anfang 2015 wurden drei Verfahren positiv abgeschlossen. Ein Antragsteller schaffte die Nostrifikation in weniger als einem Jahr. Gab es auch Fälschungen? „Vor Kurzem wurden uns Abschlusszeugnisse vorgelegt. Diese erschienen uns unglaubwürdig, sodass wir den Antragsteller zum Gespräch eingeladen haben, doch er ist nicht gekommen“, sagt Zlabinger. Er bezweifelt, dass in Deutschland die Nostrifikation einfacher und schneller ist. Das Verfahren sei in dieser Form wegen der Patientensicherheit erforderlich.

Die Wifo-Experten Julia Bock-Schappelwein und Peter Huber halten es grundsätzlich für wichtig, dass bereits in frühen Phasen des Asylverfahrens die Qualifikationen und Sprachkompetenzen erhoben werden. Darauf aufbauend soll es eine zielgruppenspezifische Betreuung für Asylsuchende geben. Genau das geschieht nun bei den geflohenen Ärzten. Am 4. Mai wird es für sie eine große Informationsveranstaltung geben, an der alle relevanten Stellen wie Ärztekammer, Arbeitsmarktservice und Universität teilnehmen werden.

Ärzte

Sprache. Zunächst lernen die geflüchteten Ärzte einige Jahre Deutsch.

Nostrifikation. Dann müssen sie ihre Zeugnisse bei der Universität einreichen und Prüfungen absolvieren.

Ärztekammer. Für die Eintragung in die Ärzteliste ist noch die Zustimmung der Ärztekammer erforderlich.

Zahlen

200Ärzte sind in den vergangenen Jahren aus Syrien nach Österreich geflohen.

28syrische Ärzte stellten seit Anfang 2015 an der Medizinischen Universität Wien den Antrag auf Nostrifikation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2016)

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