Hauszustellung: Fressen und gefressen werden

Hauszustellung Fressen gefressen werden
Hauszustellung Fressen gefressen werden(c) ASSOCIATED PRESS (Larry Crowe)
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Unter den Essenslieferanten im Internet tobt ein erbitterter Konkurrenzkampf. Die Online-Plattformen werden geschluckt oder mit Cyber-Attacken lahmgelegt. Das Geschäft mit der Hauszustellung verspricht fette Gewinne.

Angefangen hat alles in meiner Küche“, erzählt Angelo Laub. In seiner Studentenwohnung im vierten Wiener Bezirk konstruierte er gemeinsam mit Freunden die Internetseite „www.mjam.net“. Die Idee war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr neu. Doch im verträumten Wien konnte man auch noch 2008 ins Geschäft mit dem Essen via Internet einsteigen. Internet? „Bei dem Wort läuteten damals bei so manchem Gastronom die Alarmglocken“, erinnert sich der Jungunternehmer. „Wir haben den Lokalen mitunter gar nicht gesagt, dass die Bestellungen aus dem Internet kommen.“ Mittlerweile kämen die Restaurants von ganz allein auf ihn zu, erzählt Laub.

Die Idee ist einfach. Es gibt viele Restaurants, die es nicht und nicht schaffen, Kunden in ihr Geschäftslokal zu lotsen. Sei es, weil sie irgendwo abseits der Schusslinie liegen oder weil das Lokal einfach nicht den ästhetischen Ansprüchen der Kundschaft entspricht. Egal. Allein in Wien bedienen etwa 1000 Wirte ihre Kunden nicht mehr im eigenen Lokal, sondern vor deren Wohnungstür. Noch wird das Essen überwiegend per Telefon bestellt. Doch der heiße Draht hat auch in der Gastronomie bald ausgespielt. Internet-Bestellungen sind unkompliziert, bieten eine bequeme Übersicht über das reichhaltige Angebot und ein Online-Bezahlservice. Wer sich bei mjam.net einklickt und seine Postleitzahl angibt, kann aus Dutzenden Pizzerien, Asiaten, Sushi-Lokalen auswählen. Per Mausklick sieht er deren Speisekarte und auch die Bewertungen durch andere Internet-Kunden.

Der Kunde bezahlt für das Essen per Hauszustellung genauso viel wie im Restaurant. Die Internet-Kellner verrechnen den Restaurants eine Provision. In der Regel sind es acht Prozent. „Für die Restaurants gibt es allerdings kein Risiko“, meint Laub. „Deren einzige Investition bestehe in einem Terminal. Für den verlangen wir 220 Euro Kaution.“

„Wir vereinen 600 Restaurants auf unseren Plattformen“, erzählt Laub. Mittlerweile spricht er in der Mehrzahl. Denn seit dem Februar 2011 ist er nicht nur Geschäftsführer von mjam.net, sondern auch von willessen.at. Nicht nur die Kunden sind hungrig. Auch die Lieferdienstvermittler, wie die Branche offiziell heißt, haben großen Appetit. Vor allem auf unliebsame Konkurrenten.

Fressen und gefressen werden lautet die Devise. Und nicht immer gehen Übernahmen zumindest nach außen hin so friedlich über die Bühne wie in Wien. Warum es bei den Internet-Kellern zugeht wie im Wilden Westen, beantwortet Laub mit einem Satz: „Wir hatten im vergangenen Jahr ein Umsatzwachstum von 500 Prozent.“ Wir, das sind 17 Mitarbeiter in Wien Alsergrund. Über Geschäftszahlen breiten fast alle Online-Dienstleister den Mantel des Schweigens. Klar sei aber: Wer dick im Geschäft ist, mache auch fette Gewinne.

Und mitunter auch Erfahrungen mit Polizeirazzien. So geschehen Ende April in der Berliner Zentrale des Internet-Unternehmens lieferheld.de. Die Ermittler des Landeskriminalamts hatten einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt und konfiszierten Festplatten und Geschäftsunterlagen. Der Grund: Lieferheld steht im Verdacht, im Dezember 2011 den Server des Konkurrenten lieferando.de gezielt mit einer Cyberattacke außer Gefecht gesetzt zu haben.

Lieferheld-Chef Fabian Siegel dementierte diese Vorwürfe in deutschen Medien. Es habe sich um keinen „Hackerangriff“ gehandelt, sondern um den Einsatz sogenannter Webcrawler, erklärte er. Mithilfe dieser Webcrawler bespitzeln sich die Konkurrenten gegenseitig. Die Software zeigt an, wie viele Lokale tatsächlich beim Mitbewerber gelistet sind. „Wenn das bei Lieferando zum Zusammenbruch der Systeme führt, haben sie ihre Technik nicht im Griff“, sagte Siegel jüngst dem „Spiegel“.

Unappetitliche Praktiken. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Das Beispiel zeigt allerdings eines ganz klar: Der Wettbewerb in dieser Branche ist ziemlich unappetitlich. Und längst naschen auch große Anwaltskanzleien ordentlich mit. Sie decken sich im Auftrag ihrer Kunden mit Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs, Lizenzstreitigkeiten oder Hackerangriffen ein. Allein in Deutschland sind zwischen den drei großen Anbietern pizza.de, Lieferando und Lieferheld Dutzende Verfahren anhängig.

Auch die Internet-Plattform des Holländers Jitse Groen wurde Ziel einer Hacker-Attacke. „Wir waren mit lieferservice.de gerade eine Woche auf dem deutschen Markt, die TV-Werbung war voll angelaufen, und plötzlich brach alles zusammen.“ Wer hinter dem Angriff steckt, weiß Groen nicht. „Ich will niemanden verdächtigen“, sagt er. Wochen nach dem Angriff seien vier junge Norweger ausgeforscht worden. Die Frage lautet nun: War es nur ein Streich einiger Lausbuben in Oslo, oder handelt es sich um Auftragskriminalität? Beobachter in Deutschland registrierten in den vergangenen Monaten Hackerangriffe bei fast allen Online-Zustelldiensten. „Mit einer Ausnahme: Lieferheld“, erzählt ein Insider und fügt rasch hinzu: „Offenbar schützt sich dieses Unternehmen am besten gegen diese Art der Kriminalität.“

Und in Wien? Hier sind die Tischmanieren im Internet noch einigermaßen gesittet. Da wird geschluckt statt reingehauen. Ein Jahr nachdem Angelo Laub Mjam gegründet hatte, klopfte es schon an seiner Tür. Online-Pizza, ein schwedischer Konkurrent, unterbreitete dem Wiener ein derart leckeres Angebot, dass dieser nicht ablehnen konnte. Und es dauerte nur wenige Monate, bis Laub schon wieder einen neuen Partner erhielt. Denn die Schweden, die mittlerweile auf dem österreichischen, finnischen und polnischen Markt mitfuttern, wurden ihrerseits Futter – für Lieferheld.

Hinter dem Berliner Unternehmen stehen der Tengelmann-Konzern und eine Reihe von Finanzinvestoren. Als Delivery Hero serviert man mittlerweile auf vier Kontinenten Essen aus dem Internet. Erst vor Kurzem langte Fabian Siegel in Russland und Australien zu. Somit avancierte Lieferheld zu den Global Playern in der Branche. In Europa stehen die Berliner nun gemeinsam mit Justeat ganz oben auf der Online-Speisekarte. Justeat ist ein dänisches Unternehmen, das vor allem in Großbritannien viel Gewicht auf die Waage bringt.


Pizza Salami ist die Nummer eins. Kai Hansen ist ein gesprächiger, umgänglicher Typ. Der Hamburger ist Geschäftsführer von Lieferando in Berlin. Längst ist seine Plattform auch in Wien aktiv. „Der Markt in Österreich ist ähnlich, nur das Essen ist besser als bei uns in Deutschland“, erzählt er. 2009 hat er sein Unternehmen gemeinsam mit zwei Kompagnons gegründet. Zuvor hat er als 29-jähriger Student eine Internet-Plattform für Sportler betrieben. „Es war eine Art Social-Network“, erzählt er. Er habe die Sache abgeblasen, als er sah, dass da einer war, der auf diesem Gebiet etwas mehr draufhatte. Ein gewisser Mark Zuckerberg mit seinem Facebook.

„Allein in Deutschland wird der Markt für Online-Essen auf 4,5 Milliarden Euro geschätzt“, erzählt Hansen. Es sei eine der letzten Branchen, die sich noch nicht gänzlich ins Internet verdrückt hat. „Unser einziger Konkurrent ist das Telefon“, erzählt er. Und dieser Konkurrent sei ein Dinosaurier. Er wird früher oder später aussterben.

Und was ist mit den Konkurrenten im Internet? „Sorry, kein Kommentar“, sagt Hansen. Man könne über alles reden, aber über die leidige Geschichte mit Lieferheld wolle er nichts sagen. Nur nicht noch eine weitere Klage riskieren, meint Hansen.

Mittlerweile beschäftigt Lieferando 160 Mitarbeiter in Berlin. Fast alles IT-Experten. An guten Tagen gehen bis zu 2500 Bestellungen pro Stunde ein. Und welches Gericht wird am meisten bestellt? Kai Hansen lächelt: „Pizza Salami, und zwar überall. In Deutschland genauso wie in Österreich.“

Auch in Österreich liegt die Pizza beim Online-Essen unangefochten in Führung. „Dann kommt Chinesisch und Japanisch“, erzählt Zita Uzsoki. Sie ist Marketingleiterin von netkellner.at, und ihr Büro ist in Budapest. Netkellner.at wurde nämlich 1999 von den beiden Ungarn Peter Perger und Zoltan Csontos gegründet. „Vor uns gab es solche Dienste nicht“, sagt Uzsoki. 2003 expandierte das Unternehmen nach Österreich. In Deutschland, Polen, Tschechien und Bulgarien blitzten die Netkellner ab. „Die Märkte sind bereits zu hart umkämpft, vor allem in Deutschland“, sagt Uzsoki. Und auch in Wien ist es mit der Beschaulichkeit vorbei. Mit Lieferheld im Rücken starteten die Konkurrenten Mjam und Willessen durch und machen dem Netkellner die Marktführerschaft streitig. Experten sind sich einig: Auf dem kleinen österreichischen Markt ist am Ende nur Platz für einen.

Jeder fünfte Österreicher bestellt Essen im Internet. Im Schnitt gibt er 20 Euro aus. Bestellt werde alles. „Indisch, Türkisch, nur die Wiener Küche fehlt“, erzählt Uzsoki. Netkellner machte sogar eine Online-Umfrage über die Lieblingsspeise der Wiener. „Es ist das Wiener Schnitzel“, sagt die Ungarin. „Aber das Schnitzel essen die Österreicher offenbar lieber im Gasthaus, bei den Online-Bestellungen spielt es nämlich keine Rolle.“


Kein gesundes Essen. Was bestellt sich Angelo Laub, wenn er Hunger hat, aber zu faul ist, selbst zu kochen oder auszugehen? „Es gibt da ein Lokal, das nennt sich Biofrische“, erzählt er. Das Essen sei mehr als okay. Viel frisches Gemüse. Wie es mit der Qualität des Essens im Internet-Geschäft bestellt sei? „Das ist tatsächlich ein Problem“, gibt Laub unumwunden zu. „Wir würden gern auf unserer Website schreiben: Nur die beste Qualität, alles bio.“ Aber leider sei das noch nicht möglich. „Noch“, sagt Laub. Mjam sei da an einer Sache dran. „Noch nicht konkret, aber man kann es zumindest anteasern“, meint er. Sein Unternehmen sei bestrebt, künftig auch eine Topschiene anzubieten. Natürlich könne man Haubenküche nur in einem sehr begrenzten Rahmen per Hauszustellung servieren, räumt Laub ein. „Ein Steak werden wir nie zustellen können.“

Etwa 1000 Restaurants in Österreich verkaufen ihre Speisen bereits via Internet. Viele Lokale haben sich ausschließlich auf Hauszustellung spezialisiert.

Der Online-Markt ist hart umkämpft. In Deutschland bekämpfen sich die Internet-Kellner mit Klagen und Cyber-Attacken. In Österreich geht es noch relativ friedlich zu.

20 Prozent der Österreicher bestellen ihr Essen online. In den Niederlanden und in Skandinavien macht dies bereits jeder Zweite.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2012)

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