UN-Tribunal: Beim Ex-Arbeitgeber hinter Gittern

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NETHERLANDS-BOSNIA-TRIAL-ICTY-WARCRIMES(c) APA/AFP/ANP/ROBIN VAN LONKHUIJSE
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Die frühere Sprecherin der Anklage, Florence Hartmann, sitzt nach dem Karadžić-Urteil eine Haftstrafe aus dem Jahr 2011 ab. Grund: Sie veröffentlichte vertrauliche Dokumente.

Belgrad/Den Haag. Seiner früheren Angestellten Florence Hartmann hat das UN-Kriegsverbrecher-Tribunal einen unfreiwilligen Osterurlaub hinter Gittern unter verschärften Bedingungen beschert. Die einstige Sprecherin der früheren Chefanklägerin Carla del Ponte werde im Untersuchungsgefängnis des Tribunals in Den Haag wie eine potenzielle Selbstmörderin behandelt, berichtete während der Osterfeiertage ihr Anwalt Guénaël Mettraux: Das Licht in ihrer Zelle brenne 24 Stunden am Tag, alle 15 Minuten werde ihre Anwesenheit vom Wachpersonal überprüft, von den anderen Gefangenen sei sie isoliert und habe bisher nur einen Besuch vom französischen Konsul in Den Haag empfangen können.

Sie befinde sich „in der bizarren Situation“, Kriegsverbrecher wie den bosnisch-serbischen General Ratko Mladić beim Ausgang im Hof zu sehen, während sie selbst „in einem Käfig weggeschlossen“ sei, klagt die 53-jährige Menschenrechtsaktivistin. Tatsächlich wirkte die Verhaftung der französischen Publizistin durch das Sicherheitspersonal des UN-Gerichts vor der Urteilsverkündigung gegen Radovan Karadžić am vergangenen Donnerstag genauso grotesk wie die verhängte siebentägige Haft. Es scheint, als ob sich das Tribunal an seiner schärfsten Kritikerin rächen wollte.

Tiefes Zerwürfnis

Von 2000 bis 2006 galt die frühere Balkan-Korrespondentin der französischen Zeitung „Le Monde“ als Sprecherin der Anklage als Sprachrohr und eines der prominentesten Gesichter des Tribunals. Das tiefe Zerwürfnis zwischen Hartmann und ihrem einstigen Arbeitgeber entzündete sich 2007 an einer Buchveröffentlichung, in dem sie dem Tribunal vorwarf, Dokumente zensiert zu haben, die die Verwicklung Serbiens in den Bosnien-Krieg bestätigten.

Das Tribunal verklagte und verurteilte sie 2009 zu einer Geldstrafe von 7000 Euro wegen Veröffentlichung vertraulicher Tribunal-Entscheidungen. Da sich Hartmann aber weigerte, das Geld zu überweisen, wurde ihre Strafe im Jahr 2011 in einem Berufungsverfahren in eine siebentägige Haftstrafe umgewandelt. Paris lehnte das Auslieferungsbegehren des Tribunals jedoch ab.

Die Verurteilung vermochte Hartmann kaum zu beeindrucken. In zahlreichen Interviews und Publikationen bewertete die streitbare Publizistin das Wirken des Tribunals zunehmend kritischer.

So beklagte sie nach den umstrittenen Freisprüchen für den kroatischen General Ante Gotovina und den serbischen General Momčilo Perišić in der Berufungsinstanz, dass das Gericht in der letzten Phase seiner Arbeit „erneut unter strenge politische Kontrolle“ gestellt worden sei.

Mit den Freisprüchen für die Generäle hätten die Großmächte Präzedenzfälle schaffen wollen, um künftig die Verfolgung ihrer militärischen Befehlshaber für unter ihrer Verantwortung begangene Kriegsverbrechen zu erschweren – oder unmöglich zu machen.

Trotz des Haftbefehls ihres Ex-Arbeitgebers war Hartmann letzte Woche nach Den Haag gereist, um vor der Urteilsverkündung gegen Karadžić einen von ihr vermuteten Geheimdeal zwischen dem Tribunal und Serbien zur Vermeidung von Schadensersatzzahlungen an die Opfer anzuprangern. Mitten in einem TV-Interview wurde sie vor dem Gebäude des Tribunals verhaftet.

Ob sie wie verurteilte Kriegsverbrecher auf den üblichen Strafnachlass von einem Drittel ihrer siebentägigen Haftstrafe rechnen kann, vermag ihr Anwalt nicht zu sagen. Während der Osterfeiertage sei kein Verantwortlicher zu erreichen gewesen. Heute, Dienstag, werde man „mehr erfahren“.

AUF EINEN BLICK

Die Ex-Sprecherin des UN-Tribunals Florence Hartmann wurde 2009 zu einer Geldstrafe von 7000 Euro verurteilt. Die Begründung: Sie habe vertrauliche Informationen veröffentlicht. Hartmann bezahlte das Bußgeld nicht. Nun wurde sie in Den Haag verhaftet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2016)

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