Jugendfilm: „Hier wird nicht mehr gespielt“

Im vierten Kino-Abenteuer der „Wilden Kerle“ erschüttert erotische Versuchung das Bubenparadies.

Alles ist gut, solange du wild bist.“ Auch in ihrem vierten Film wiederholen die aus Film und Buch, von Kaffeetassen und T-Shirts bekannten „Wilden Kerle“ diese Worte wieder und wieder. Als Mantra. Als Schwur. Als Definition – auch für den Wertbegriff „gut“: Gut ist, was der Horde nützt, böse ist, was ihren Zusammenhalt gefährdet. Wie in Wilhelm Speyers „Goldener Horde“, wie bei Ferenc Molnárs „Jungen der Paulstraße“, es ist die alte Moral der adoleszenten Bande, die hier erprobt wird. Im Gewand einer Fußballmannschaft, die an die Grenzen geht.

Ihres Sports, und überhaupt. In Joachim Masanneks Büchern macht schon die bis zur Groteske expressive Sprache („Der Frosch in meinem Hals wuchs auf die Größe eines Kaninchens“, barocke Kraftausdrücke wie „touristisch-bombastischer Bärenbauchspeck“) klar, wie ernst das Spiel den Kerlen ist. Bis ein noch ernsterer Ernst kommt...

Was wartet hinter dem Nebel?

Freilich nicht in Form von Lehrern und/oder Eltern. Im Gegensatz zur hoch komplexen Harry-Potter-Saga, in der eine Erwachsenenwelt zerbröckelt und die Jugend aus deren Trümmern retten muss, was sie für gut hält, ist hier von Erwachsenen fast nichts zu sehen: Gerade-erst-Teenager mit noch hellen Stimmen rasen ungebremst auf Motorrädern durch Wald und Feld, keiner muss je zum Abendessen zuhause sein. Nur einmal kommt Uwe Ochsenknecht – der Vater zweier Darsteller – als vage mahnende Karikatur eines Vaters aus dem Nebel.

Was wartet hinter dem Nebel? Unter den zentrifugalen Kräften, die die Bubenbande zu lockern drohen, ist die Erotik die ernsteste. Verkörpert wird sie durch ein Mädchen, das sie „Horizon“ nennen, weil ihr Reich bis zum Horizont reicht. Es beginnt im Nebel, daher heißen ihre Gesellen „Silberlichten“.

Erst eine kleine Götterdämmerung

Die „Silberlichten“ erscheinen im vierten Wilde-Kerle-Film aber erst später als Gegner. Zuerst, quasi als harmloses Vorspiel, als „business as usual“, treten sie im „Freestyle-Soccer“ gegen die „Wölfe von Ragnarök“ an. Eine seltsame Nomenklatur, die, Stichwort „Bubentorheiten“, vielleicht sogar auf die Gefahr rechtsradikaler Infiltration jugendlicher Abenteuersucher anspielt.

Das altnordische Wort „Ragnarök“ bedeutet „Schicksal der Götter“, Götterdämmerung. Im Ragnarök geht eine Welt unter, in diesem Fall wohl die Welt der Kindheit. Denn die Wölfe selbst erweisen sich als zerrissen, als angekränkelt durch die Macht der Liebe und Eifersucht: Das Mädchen Horizon hat zwei in der „Wölfe“-Horde führende Brüder einander entfremdet; nun droht den Wilde-Kerle-Brüdern Marlon und Leon – dargestellt durch die echten Brüder Jimi Blue Ochsenknecht und Wilson Gonzalez Ochsenknecht – das gleiche Schicksal.

Das Reich der Wölfe liegt im Wald: ein besserer Abenteuerspielplatz mit allen Schikanen, kein ernstes Problem für die Wilden Kerle. Über das Terrain der Silberlichten dagegen sagt Horizon: „Auf dieser Seite des Nebels wird nicht mehr auf einem Spielfeld gespielt. Hier wird überhaupt nicht mehr gespielt. Hier ist es ernst.“

Unheimlicher kann Initiation kaum sein – und zugleich nicht lockender: Die weite Ebene, auf der die Kerle – zunächst nur Marlon und Leon, dann der ganze Verein – erst in Versuchung, dann in den Kampf geführt werden, glänzt in der Sonne wie einst in den Karl-May-Filmen die Ebene, in die Old Shatterhand und Winnetou ritten, wenn sich ihre Blutsbrüderschaft wieder einmal bewährt hatte.

Die Fremdheit der Erwachsenenwelt wird symbolisiert durch den Habitus der Silberlichten: Sie tragen Turban und Tücher, die an „Palästinenserschals“ erinnern, orientalisch anmutende Musik begleitet ihr Auftreten – im Kontrast zum martialischen Hardrock, der die Wölfe genauso anfeuert wie die Wilden Kerle. Auch im entscheidenden Spiel, in dem die Kerle ihre fantastischen Motorräder wegwerfen, als gelte es, sich ein letztes Mal auf die genuinen Waffen des Fußballs – die Beine – zu verlassen. Sie gewinnen, natürlich, aber es wird klar, dass der Sieg vor allem der Rückkehr des kurz untreuen Marlon zu verdanken ist.

Und Horizon? Sie ist endlich entzaubert. Sie darf mit den Wilden Kerlen mitkommen; sogar Vanessa, bisher das einzige Mädchen in der Horde, findet sich damit ab, der Sex-Appeal der Versucherin ist gezähmt, domestiziert, gerade ihren Lidschatten darf sie behalten. Großer Kitsch, historischer Kom-promiss zwischen Liebe und Bubenherrlichkeit; die Bande sind, die Bande ist gerettet. Der kleine Bub namens Nerv – der für einen großen Teil des Kino-Publikums steht – kann wieder unschuldig lachen. Und die Älteren im Saal, sprich: alle, die den Stimmbruch glücklich hinter sich gebracht haben, fragen sich wissend: Wie lange noch?

Inline Flex[Faktbox] AUTOR: Joachim Masannek("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2007)

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