Requiem aus dem Reich der Toten

Mit "Letters From Iwo Jima" vollendet Clint Eastwood sein großes dialektisches Diptychon über die blutigste Schlacht des Pazifikkriegs.

Der Sand der Vulkaninsel ist schwarz wie Asche. Die Stollen, die von den japanischen Soldaten zur besseren Verteidigung in den Berg getrieben werden, werden ihr Massengrab sein, sie wissen das auch. Ein knappes Tausend der 21.000 Japaner wird den Angriff der US-Übermacht überleben.

Clint Eastwoods Letters From Iwo Jima zeigt die blutigste Schlacht des Pazifikkriegs aus Verlierersicht: als zweieinhalbstündige, zutiefst empathische Elegie, tragisch und getragen, illusionslos. Entfärbte Bilder von drinnen, von der klaustrophobischen Enge des grüngrauen Tunnelgefängnisses, von draußen, von der rauchverhangenen Weite aus kahlem Stein und zersprengten Bäumen. Und je länger es dauert, desto mehr Leichen dazwischen: Land of the Dead.

Die Insel ist nicht zu verteidigen, nur die eigene Menschlichkeit, das ist die einzige Erkenntnis, die den Hauptfiguren des Films bleibt, ob Kommandant (subtil: Ken Watanabe) oder einfacher Soldat. Wie Saigo (Popstar Kazunari Ninomiya), vom Bäcker-Beruf, von der schwangeren Frau wegrekrutiert, in einer der wenigen, wohlgesetzten Rückblenden des Films, deren „normale“ Farbtöne schockierend lebendig wirken.

Selbstsprengung mit Granaten

Umgekehrt verstärken sie den Effekt der monochromatischen Bilder auf Iwo Jima, damit Konsequenz und Klarheit der Erzählung: In der Erstarrung des allgegenwärtigen Todes vollendet sich ein militärischer Prozess, der Menschen zu Bomben oder Statuen macht. Eastwood findet dafür starke Bilder: Nach einem vorbereitenden Bombenangriff wendet sich Saigo in den Ruinen an einen Soldaten mit dem Rücken zur Kamera; als keine Antwort kommt, geht Saigo um den anderen herum – und sieht das blutige, zerstörte Gesicht auf dem versteinerten Körper. Später befiehlt ein Offizier ehrenvollen Suizid, seine Soldaten sprengen sich mit Granaten in die Luft. Die Reste ihrer Körper, glitzernde Innereien sind über die Höhle verstreut wie perverse Kunstwerke.

Unaufdringliches Ineinandergreifen

Die Szene liefert eine der direkten Verknüpfungen mit dem anderen, schon gestarteten Teil von Eastwoods Kriegsfilm-Diptychon: Flags of Our Fathers schildert die Schlacht von Iwo Jima aus US-Sicht, im Zentrum stehen aber vor allem die Auswirkungen von Joe Rosenthals weltberühmtem Foto der die Stars'n'Stripes-Fahne hissenden Soldaten. Diese Flagge ist in Letters, die Japaner sind schon weit zurückgeschlagen, nur kurz, fern am Horizont zu (über-)sehen. Wie Eastwood solcherart das direkte Ineinandergreifen der Filme ganz unaufdringlich inszeniert, ist Zeugnis seiner Meisterschaft als Regisseur: Nur ganz wenige Szenen aus doppelter Perspektive werden benötigt, und doch vertiefen und bereichern die beiden Filme einander auf außergewöhnliche Weise.

Die in Hollywood ziemlich unvergleichlichen Freiheiten, die sich Eastwood nimmt und nehmen kann (der Oscar-Triumph mit Million Dollar Baby hat wohl nicht geschadet), zeigt schon die Konstruktion des Doppelpacks: Der Multiplex-taugliche US-Film Flags ist ein verschachteltes brechtisches Epos, das untertitelte japanischsprachige (in den USA also zum kommerziellen Nischendasein verurteilte) Pendant Letters ist ganz geradliniger Kriegsfilm-Klassizismus.

Ironischerweise ist daher Flags, der ambitioniertere, ambivalentere, für sich genommen komplexere der zwei Filme, etwas unterschätzt (auch bei den Oscars), wohl auch schlicht wegen des Identifikationsangebots in Letters. John Ford, Großmeister des Hollywood-Studiokinos, ist deutlicher Bezugspunkt für beide Arbeiten: Der tragische Romantizismus der (aus Südstaatensicht geschilderten) Bürgerkriegsfilme Fords prägt Letters, in Flags hingegen zersplittert die Tragödie, nicht nur in den Zeitsprüngen, das knüpft an die tiefgreifende, dornige Dialektik von Fords US-Gesellschaftsstudien an, an seine Gegenüberstellung von individuellen und sozialen Notwendigkeiten.

Aber beide Eastwood-Filme behandeln auf ihre Weise dasselbe Problem: Menschen werden gezwungen, etwas zu werden, was sie nicht sind. Die US-Soldaten in Flagsmüssen zur Beschaffung von Kriegsanleihen in absurd spektakulären Umständen als falsche Fotohelden posieren, die Japaner in Letters einem Todeskult folgen, gegen den Eastwood auf das Heftigste opponiert. Saigo verweigert den Befehl zur Selbstsprengung, will – das Blut seines Offiziers im Gesicht – aus der Höhle steigen, ein anderer Soldat droht ihn zu erschießen: Der hat gezögert, sich selbst zu richten, fände es leichter, einen anderen zu erschießen (darauf ist er trainiert) – und realisiert schließlich, dass er überhaupt nicht verpflichtet ist zu töten.

Mehr als die Summe seiner Teile

Aber Eastwood zeigt auch, wie sich Japaner ergeben und von US-Soldaten erschossen werden (und dann den Blick jener Japaner, die die Leichen finden). Als US-Produktionen belegen Eastwoods Filme gewissermaßen die Binsenweisheit, dass Geschichte von Siegern geschrieben wird, trotz der bemerkenswert selbstkritischen Art: Es äußert sich manchmal in didaktischen Momenten und in der Entscheidung, den japanischen Teil als bewegendes Requiem zu inszenieren, den amerikanischen als bitter-ironische Reflexion. Das wirft nebenbei die Frage auf: Ist auch Ironie ein Privileg der Sieger?

Es ist jedenfalls ein ziviles Privileg, zwischen „sinnvollem“ und „sinnlosem“ Krieg zu unterscheiden, das demonstrieren beide Filme. Überhaupt sind ihre unterschiedlichen moralischen Dilemmas unmöglich zu lösen: Ihr Zusammenspiel und dasjenige anderer keineswegs offensichtlicher Motive machen das Diptychon zu mehr als der Summe seiner ohnehin außerordentlichen Teile.

Inline Flex[Faktbox] IWO JIMA: Historischer Hintergrund("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2007)

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