Katastrophen und andere Lebensformen

Sozialkritik, modern: Kathrin Rögglas eigenwillige Essays.

Mit seiner Essay-Reihe trägt der Droschl Verlag seit Jahren zur verlegerischen Pflege einer Gattung bei, die in Österreich nicht allzu angesehen ist. Die Qualität der mittlerweile über 50 Folgen ist unterschiedlich, Kathrin Rögglas Band ist jedoch auf der Qualitätsskala ganz oben. Röggla hat nicht nur in ihrer Prosa einen ganz eigenen, auch eigenwilligen Ton gefunden, sie ist auch eine Autorin, die gründlich nachdenkt über die Gesellschaft, in der sie sich bewegt und mit der sie sich literarisch auseinandersetzt.

„disaster awareness fair“ enthält zwei Texte zu einem Thema: „geisterstädte, geisterfilme“ und „die rückkehr der körperfresser“. Wohl angeregt durch die Ereignisse von 9/11 stellt sich die Autorin die Frage, woher die eigentümliche Lust an der Katastrophe kommt, die Hollywood die Kassen füllt. Im Ausnahmezustand, zumal aus sicherer Entfernung betrachtet, lässt sich die Sehnsucht nach Negation des Bestehenden ausleben; das entlastet von der Überforderung durch die „neue unsicherheitskultur“, die unter dem neoliberalen Deckmantel der neuen Freiheiten dem Einzelleben jede Planbarkeit geraubt hat.

Der Berg der kollektiven Ängste wächst mit dem „flexibilitäts- und mobilitätsirrsinn und dem ganzen freiheitsversprechen, mit dem man für das akkumulationsregime wirbt, das die gegenwärtige globalisierung bestimmt“. Ob Vogelgrippe, Hochwasser, Tsunamis, Hurrikans, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Terrorismen, Börsenkräche – die überraschende Reaktion ist das plötzliche Ausbrechen in „verwandtschaftsgrade“, die man nicht für möglich gehalten hat, „jetzt, wo wir nach all den schlappen der moderne, den zwangskollektivierungen, den vermasselten aufbrüchen uns endlich als neoliberal befreite individuen fühlen“.

Das gläserne Ornament

Die Folgen der sozialen Destabilisierung liest Röggla aus dem Verhalten der Menschen ebenso heraus wie aus dem Stadtbild, in dem „gesellschaftliche verhältnisse sichtbar werden“. Aktuell, so will es scheinen, trifft das allerdings verstärkt auch auf den ländlichen Raum zu, dessen Verwandlung in städtischen Umraum in vollstem Gange ist. Nicht zufällig sind ja etliche der aufgezählten Katastrophen-Formen keineswegs primär im Stadtraum angesiedelt, sondern bedürfen – wie das „Jahrhunderthochwasser“ – für ihre volle Entfaltung beinahe der ländlichen Idylle, die von den entfesselten Kräften der Natur zerstört wird.

Auch sonst entwickelt sich der kleine Grenzverkehr zwischen Stadt und Land immer reger. Formen ursprünglich städtischer Architektur wie die Glasfassade als „ornament des freien zugangs und der freien einsicht“ haben die Ballungszentren schon lange Richtung Weinberge und Flussufer verlassen. Ein schönes Beispiel für das „üblich gewordene verständnis von transparenz, das sich alleine durch die verwendung des baumaterials glas auszeichnet“, kennt die in Berlin
lebende Autorin vielleicht noch nicht: Nicht nur Konzernzentralen und Medienhäuser lieben das gläserne Ornament – auch das österreichische Parlament hat sich unlängst für diese Form der Selbstpräsentation entschieden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2007)

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