Robert Harris: „Es gibt keinen Krieg gegen Terror“

''Politiker sind wurzellose Phantome, fliegende Holländer'', sagt Bestseller-Autor Harris. Tony Blair (li.) und sein Nachfolger Gordon Brown.
''Politiker sind wurzellose Phantome, fliegende Holländer'', sagt Bestseller-Autor Harris. Tony Blair (li.) und sein Nachfolger Gordon Brown. (c) AP (Stephen Hird)
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Interview. Bestseller-Autor Robert Harris über Bush, Blair und sein Buch „Ghost“.

Ein britischer Premier-Minister wird, nachdem er zurückgetreten ist, als Kriegsverbrecher enttarnt, seine Frau als vom CIA manipuliert. Davon handelt der neue Thriller des britischen Bestseller-Autors Robert Harris (50), der bereits mit Büchern über die Nazizeit („Vaterland“, Enigma“) für Aufsehen gesorgt hat. Harris studierte in Cambridge Geschichte. Er war Reporter bei der BBC und schrieb Kolumnen für „Observer“, „Sunday Times“.

Ist sein Buch die Rache für die Enttäuschung über „New Labour“? 1997 begleitete Harris den im Juni zurückgetretenen englischen Premier Tony Blair im Wahlkampf. „Ich haben keine persönlichen Animositäten gegen Blair. Mein Buch handelt von dem ganzen System, wie sich alles ereignet hat, die Nähe zu Amerika, die Art und Weise der Invasion im Irak. Es geht aber auch um Politiker in Pension. Sie sind süchtig nach der Macht. Wenn die weg ist, wissen sie nichts mit sich anzufangen. Meist haben sie Familie und Freunde vernachlässigt. Das Ende eines Politikers ist immer das Scheitern. Meist geht er ja nicht freiwillig, er wird von den Wählern rausgeworfen oder von seinen früheren Kollegen verraten.“ In der Politik sind heute viele Glücksritter unterwegs?

Bush, „der absurdeste US-Präsident“

„Leute wie Blair oder Lang – in meinem Buch – scheinen ohne Wurzeln zu sein. Sie sind nicht mehr daheim in einer Region, in die sie zurückkehren können, oder die sie nach ihrem Rücktritt weiter im Parlament vertreten. Sie sind Phantome ohne Ideologie, fliegende Holländer, die auftauchen und wieder verschwinden. Das wirkliche Gespenst in meinem Buch ist nicht der Ghostwriter, sondern der Premierminister selbst“, sagt Harris: „Die Politik ist heute durch das Fernsehen von den Leuten völlig abgeschnitten. Politiker sind abgeschirmt wie Romanow-Prinzen. Sie fahren nicht U-Bahn, sie wissen nicht, wie man Kreditkarten benutzt. Sie sind hilflos. Sie fliegen mit Jets herum und sind Teil der Welt von Celebrities. Alle diese Entwicklungen sind höchst gefahrvoll für die Demokratie.“ Eine Begründung für den Einmarsch der Amerikaner und der Briten im Irak war der „War on Terror“. Harris: „Den gibt es doch gar nicht. Die islamischen Terroristen können nicht wirklich die westliche Zivilisation zerstören. Sie sind kein totalitäres Regime, sie haben keine Armeen. Sie können hier und dort Anschläge machen. Aber wir müssen die Proportionen sehen. Wir sind eine Milliarde und die sind vielleicht 5000. Die Gefahr ist nicht der Islamismus, sondern die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Wir zerstören unsere Bürgerrechte und verfallen in Panik. Wir halten Leute ohne Gerichtsverfahren gefangen, foltern. Wir beschränken die freie Rede, die Reisefreiheit. Und wir marschieren in den einzigen säkularen Staat in der arabischen Welt ein. Das haben Bush und Blair getan und es war extrem dumm. Bush ist in die Psychose-Falle geraten.“

Eben hat der US-Präsident die Gefahr eines 3. Weltkriegs beschworen. „Wovon redet der Mann? Die Situation ist im Moment zwar instabil und gefährlich. Trotzdem ist es nicht der Job von Politikern, die Bevölkerung zu erschrecken. Es wird der Eindruck erweckt, als würde in jeder amerikanischen Stadt alle fünf Minuten eine Bombe hochgehen. Das ist lächerlich. Es ist eine Tragödie, dass Bush jemals gewählt wurde. Er ist vielleicht der absurdeste Präsident, den die USA jemals hatten. Den Amerikanern geht es ums Öl. Sie wollten eine permanente Präsenz im mittleren Osten haben. Das haben sie erreicht. Aber jetzt stecken sie fest. Die Briten werden ihre Truppen aus dem südlichen Irak abziehen. Der Irak-Einsatz ist bei uns extrem unpopulär. Der Druck auf Premier Gordon Brown wird unwiderstehlich werden. Je rascher die Soldaten heimkehren, umso besser. Sie sitzen nur auf ihrer Militärbasis, können sich nirgends hinbewegen. Sie haben ihre Mission verfehlt. Für Bush war das einzige Wichtige an unserem Militäreinsatz, dass er sagen konnte: Schaut her, wir machen es nicht alleine.“

Den Terroristen moralisch überlegen

Was kommt als nächstes? Ein Buch über Gordon Brown? Harris lächelt: „Das wäre keine interessante Story.“ Stattdessen beschäftigt sich der Autor seit Jahren mit den Römern. „Imperium“, der erste Teil einer Trilogie, ist bereits erschienen. Werden die Amerikaner, die Römer von heute, ebenso untergehen wie diese? „Nichts dauert ewig. Alle großen Mächte verschwinden einmal. Aber das kann noch 1000 Jahre dauern.“

Vom Journalismus hat sich Harris verabschiedet. Täglich sitzt er vormittags am Schreibtisch. Und danach? „Trinken, essen, wandern, außerdem habe ich vier Kinder.“

Also doch ein Optimist? Harris: „Meiner Natur nach bin ich Optimist. Wir haben in der Vergangenheit die Mächte der Finsternis bekämpft. Lasst uns hoffen, dass wir das auch in Zukunft schaffen! Wir sind den Terroristen moralisch überlegen. Den Sinn dafür muss sich der Westen bewahren.“

ZUR PERSON. Robert Harris

Seine literarischen Vorbilder sind Joseph Conrad, Graham Greene, John Le Carré. Sein Lieblingsthema sind die Römer: Machtkampf, Manipulation der öffentlichen Meinung, Korruption, ganz wie heute, sagt Harris. Er lebt in einem alten Pfarrhaus in Berkshire, hat vier Kinder von 6-17 Jahren. [M. Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2007)

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