Biografie: Brechts Frauen wussten, was sie tun

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„Helene Weigel war kein Opfer“: Gitta Honegger erforscht die Wiener Wurzeln von Brechts Ehefrau.

„Der ist ja nicht mit einer geladenen Pistole auf sie losgegangen“, antwortet die in Arizona lebende und lehrende Theaterwisssenschaftlerin Gitta Honegger auf die Frage, die alle Biografen einer Brechtschen Ehefrau oder Geliebten beantworten müssen: War er wirklich so bös und sie so arm? Lange hatte die Forschung die Frauen um Brecht ignoriert, als man sie endlich wahrnahm, wurden sie als Opfer eines frauenverschlingenden Machos mit Mitgefühl überschwemmt. Und keine mehr als die aus Wien stammende Ehefrau Helene Weigel.

„Man macht sie damit klein“

Die ebenfalls aus Wien stammende Regisseurin, Dramaturgin und Theaterwissenschaftlerin Gitta Honegger, hierzulande auch als Bernhard-Biografin und Jelinek-Übersetzerin bekannt, arbeitet an einer Biografie über sie – und kann dem Opferkult nichts abgewinnen. „Das waren durchwegs gescheite Frauen, die mit Brecht ein Verhältnis hatten. Sie konnten sich frei entscheiden, sie wussten, worauf sie sich einlassen.“ Weigel habe sich, so unglücklich sie oft war, nie als Opfer gesehen. „Man macht sie auch klein, wenn man sie so sieht.“

Und das war sie sicher nicht. Nicht als brüllendes Temperamentsbündel auf der Bühne, wo sie nicht nur als „Mutter Courage“ berühmt wurde, nicht im Alltag, in ihrer Arbeit für das Berliner Ensemble, das sie bis zu ihrem Tod 1971 leitete. „In der sozialistischen Praxis war sie Brecht voraus, was er geschrieben hat, hat sie praktiziert“, meint Honegger. „Da gibt es viele Anekdoten – etwa wie sie eine Aktion gegen ungesunde Kinderschuhe in der DDR startete.“

Aber über diese Berliner Zeit wurde schon viel geschrieben, spätestens zu Weigels 100. Geburtstag vor sieben Jahren. Die Wiener Wurzeln dagegen wurden bisher völlig vernachlässigt. Honegger arbeitet derzeit als Stipendiatin am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK), um diese Lücke zu füllen. Die Zeit in der Reformschule von Eugenie Schwarzwald, der Schwarzwald-Kreis hätten die junge Weigel geprägt, sagt Honegger. „Es war das erste Realgymnasium für Mädchen in Wien. Schwarzwald hatte ein Auge für Talente, man spielte Theater, las Wedekind, Ibsen, und Direktor zur Zeit Weigels war der berühmte Nestroy-Experte Otto Rommel.“ Schwarzwald habe Weigel auch geholfen, gegen den Willen der Eltern Schauspielerin zu werden. „Die Bildung setzte sich bei den Mittagessen fort, da kamen Schülerinnen mit prominenten Hausgästen zusammen. Die Cafés Central und Herrenhof waren gleich daneben. Diese Kultur des öffentlichen Gedankenaustausches war einzigartig in Wien.“ Auch ein persönlicher Bezug hat Honegger aus dem warmen Arizona zu Weigel und nach Wien getrieben: „Ich fing als Schauspielerin am Burgtheater an (als Gitta Sacha, Anm. d. Red.), da lebten noch viele, die Weigel gekannt haben. Aber ich traute mich nicht zu fragen. Außerdem war sie Kommunistin – das war Tabu.“

Irak-Krieg macht Brecht in USA beliebt

Das Buch soll (leider zunächst nur auf Englisch) 2008 in der Yale University Press erscheinen. Der Zeitpunkt scheint gut gewählt: „Brecht ist derzeit in Amerika sehr beliebt“, sagt Honegger. Nicht nur, weil Meryl Streep 2006 eine überwältigende „Mutter Courage“ im New Yorker Central Park gab. „Das macht die Zeit, der Irak-Krieg, die sozialen Verhältnisse – gerade bei uns in Arizona, wo die Immigration so stark ist.“ Überhaupt spiele sich Amerika heute im Südwesten ab, meint Honegger: „Es ist eine Art letzter Wilder Westen, es verändert sich viel – und es lässt sich noch viel bewegen.“

Heute, 19. 11., 18h spricht Gitta Honegger am IFK (1., Reichsratsstraße 17) auf Englisch über Weigel und den Schwarzwald-Kreis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2007)

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