USA: "Ein Land biblischer Idioten"

Jeanne d'Arc war die Frau von Noah: Der Religions-Wissenschaftler Stephen Prothero warnt vor gefährlichem "religiösen Analphabetismus" der US-Amerikaner.

Neun von zehn Amerikanern deklarieren sich als gläubig, und zwei von drei sind überzeugt, dass die Bibel die Antwort auf grundlegende Lebensfragen enthält. Was da aber wirklich drinsteht, wissen die wenigsten. „Eine Nation biblischer Idioten“ nennt Stephen Prothero, Leiter des Seminars für religiöse Studien an der Boston University, die USA. Sein im März erschienenes Buch „Religious Literacy. What Every American Needs to Know – And Doesn't“ („Religiöse Bildung. Was jeder Amerikaner wissen sollte – aber nicht weiß“) steht seit Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“. Und das, obwohl es der US-Öffentlichkeit einen wenig schmeichelhaften Spiegel vorhält.

Sodom und Gomorrha? Ein altes Ehepaar

Den Studien zufolge, auf die sich Prothero beruft, können über 50 Prozent der US-Bürger keinen der vier Evangelisten nennen, 60 Prozent nicht einmal die Hälfte der Zehn Gebote. Zehn Prozent meinen, Johanna von Orléans („Joan of Arc“) sei mit Noah verheiratet gewesen. Jeder zweite Oberschüler hält Sodom und Gomorrha für ein Ehepaar. Die Mehrzahl der Amerikaner glaubt, dass Jesus in Jerusalem geboren wurde, und dass der Benjamin-Franklin-Satz „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ aus der Bibel stammt. Mit dem Wissen um andere Religionen ist es nicht besser bestellt, glaubt man einer Studie des „Bible Literacy Project“ aus dem Jahr 2005. Damals wussten 36 Prozent der Highschool-Schüler nicht, dass Ramadan der islamische Fastenmonat ist.

Prothero berührt mit seinem Buch einen wunden Punkt in „God's own Country“: Seit 1947 ist der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen verboten. Die religiöse Ignoranz ist also nicht nur eine Fassette mangelnder Allgemeinbildung, sondern strukturbedingt. Dass ein wesentlicher Bereich von Geschichte und Kultur unverständlich wird – der Autor erinnert daran, dass das Werk William Shakespeares 1.300 Verweise auf die Bibel enthält, oder dass in Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ Motive der Passion Christi anklingen –, ist für Prothero nicht das Schlimmste.

In einer Zeit, wo „auf nationaler wie auf internationaler Ebene politische Fragen zunehmend religiöse Komponenten tragen“, sei religiöse Ignoranz gefährlich, betont Prothero. Nicht ohne einen Verweis auf Bushs Vorliebe für Bibelzitate warnt er davor, religiöses Wissen an „Demagogen, Meinungsmacher und Prediger mit einer politischen Agenda“ auszulagern. „Wenn du glaubst, dass Sunniten und Schiiten dasselbe sind, weil sie beide Moslems sind, und wenn man dir sagt, dass es beim Islam um ,Frieden‘ geht, wirst du niemals verstehen, was im Irak passiert. Wenn du in eine Debatte über die Rechte von Schwulen oder die Todesstrafe gerätst und jemand behauptet, die Bibel oder den Koran zu zitieren – weißt du, ob's stimmt?“, sagt Prothero in einem Interview des „Time Magazine“.

„Teach, not preach“

Auch engagierte Christen schneiden bei den von Prothero zitierten Tests schlecht ab. Der Autor gibt den seit dem 19. Jahrhundert von evangelikalen Predigern getragenen „Erweckungsbewegungen“ auch Mitschuld am religiösen „Analphabetismus“. Durch sie sei die Religion „vom Kopf ins Herz“ gewandert, subjektives Erleben habe die „wissenschaftliche Erörterung“ verdrängt. Als Gegenmittel empfiehlt er nicht nur sein seit Wochen in der US-Öffentlichkeit kursierendes „Bibel-Quiz“ (bei dem seine Studenten regelmäßig durchfallen); er fordert auch die Einführung von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen – als Wissensunterricht („teach, not preach“).

Prothero liegt im US-Trend. Während Europa zunehmend vom Religions- zum „Ethikunterricht“ tendiert, wird dort Bibelkunde als Freifach immer beliebter. Und das „Time Magazine“ griff Protheros Aufruf sogar mit einer Titelgeschichte auf, sie hieß: „Warum wir an staatlichen Schulen Bibelkunde unterrichten sollten (aber sehr, sehr vorsichtig)“.

Inline Flex[Faktbox] STREIT: Religionsunterricht("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.