Kritik Theater: Einbruch in eine zarte Seele

Alvis Hermanis aus Riga inszeniert "Sonja" bei den Wiener Festwochen: Klamauk mit Niveau.

Die Geschichte ist nicht lustig: Tatjana Tolstajas Erzählung „Sonja“ endet mitten in der Belagerung Leningrads durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Die reizlose, treue Heldin fällt wahrscheinlich den Bomben zum Opfer, als sie ihre vermeintliche Liebe retten will. Dennoch ist die traurige Geschichte zum Lachen, allein schon durch den Rahmen, den ihr der lettische Regisseur Hermanis mit seinem „Neuen Theater Riga“ gegeben hat.

Zwei Einbrecher steigen in ein ärmliches Zimmer ein, russischer Realismus der Dreißigerjahre, mit Bett, Tisch, Kommode, Herd, alles abgewohnt (Bühne: Kristine Jurjane). Aus einem alten Grammofon tönt Melancholie. Die Diebe vergreifen sich an der Marmelade, stöbern in alten Briefen und blättern in Fotoalben. Dann zwingt der eine (Jevgenijs Isajevs) den anderen (Gundars Abolinn), Frauenkleider anzuziehen und die Rolle Sonjas zu übernehmen. Er spielt sie stereotyp, mit dümmlichem Gesichtsausdruck, während Isajev auf Russisch die allertraurigste Geschichte vorträgt, sie wird von Anastasija Manastirnaja ganz famos simultan übersetzt.

Brutaler Torten-Terror

Sonja ist eine graue Maus, eine Archivarin, die von ihren Bekannten ausgenutzt wird – nähen, kochen, Torten backen voller Lust und mit nachlässiger Gebärde, das übernimmt sie widerspruchslos, stumm. Sie hat ja auch sonst nichts. Da erfindet die böse Ada mit ihrem Bekanntenkreis einen Liebhaber für Sonja, der ihr innig schreibt. Jahrelang dauert der Briefverkehr mit Sonja, es eröffnet sich eine reine Seele, schließlich kann sich auch die zynische Ada der Situation, die aus einem grausamen Witz entstand, nicht entziehen.

Das kleine Wunder bei Hermanis: Man vergisst den Klamauk in diesem einfachen Kammerspiel, das Tuntige des Pro-tagonisten. Man sieht, wie bei gutem Marionettentheater, nicht mehr die Fäden, sondern erlebt eine einsame Frau in ihrer kleinen Welt, für die man mehr und mehr Sympathie hegt. Der Erzähler hingegen, der Seelenbelagerer, frisst die Torte, die Sonja verträumt und achtlos produziert hat, wie ein Schwein, ganz befleckt ist er mit Schokolade. Am Schluss hauen die Einbrecher mit ihrer Beute ab. Nur eine kleine weiße Taube aus Email lassen sie auf dem Tisch zurück.

Noch ein Termin: „dietheater Künstlerhaus“, Karlsplatz 5, 15. Mai, 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2007)

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