Burgtheater: Der Schatten des Körpers des Königs

Luc Bondy treibt Shakespeares „Lear“ zum Äußersten – großes Theater für die Wiener Festwochen.

Nach vier Stunden exzessiven Dramas mit beeindruckendem Theaterdonner, fetzigem Windmaschinengebläse und grellen Kunstblitzen stellte sich am Mittwoch auf der düsteren Bühne des Burgtheaters das ein, was man in der Boxer-Sprache „stehendes K.o.“ nennt. Die Akteure spielten nicht mehr, sie standen einfach erschöpft da und sprachen ihre grausamen, schwer zu begreifenden Texte wie mondsüchtige Kreaturen. Goneril (kühl Andrea Clausen) – fast schon tot, Regan (herrlich intensiv Caroline Peters) – fast schon tot, Edmund (richtig böse Christian Nickel) – fast schon tot, der Herzog von Cornwall (Johannes Krisch) – tot.

Das war die Ruhe nach dem Sturm. Nun ging es rasch zu Ende. In einer halben Stunde würden die meisten Protagonisten ihr Leben ausgehaucht haben, Gute wie Böse. Mit Shakespeares „König Lear“ kann man nicht fertig werden. Deshalb ist es erleichternd, dass auch Meisterregisseur Luc Bondy mit einem großartigen Ensemble dieses Drama des Alterns und des Verrates, der bedingungslosen Treue und der schieren Verzweiflung nicht ganz bewältigt hat.

Ein treffliches Duo: Voss und Minichmayr

Was Bondy und seinem Team jedoch gelingt, ist selten – ein fantastischer Theaterabend in einer altmodischen, aber umso wahrhafter wirkenden Inszenierung, die sich darauf konzentriert, die Sprache zum Klingen zu bringen, in all ihren Facetten. Erschöpft sitzt man da, das Tosen der Worte hallt noch nach, im Grunde aber darf man dankbar sein. Für diese Koproduktion mit den Wiener Festwochen wird aufgeboten, was dieses große Haus nur leisten kann – bis in die Nebenrollen charaktervolle Schauspieler, ein halbes Dutzend Ausnahmekönner als Hauptdarsteller, vor allem aber ein treffliches Duo im Zentrum, Gert Voss als Lear und Birgit Minichmayr als sein alle königlichen Possen enthüllender Narr.

Voss spielt die ganze Skala, von den leisen Tönen bis zum brüllenden Pathos, es gelingt ihm jede Form der Verrücktheit. Er ist der Mächtige, der mutwillig die Landkarte seines Reiches zu Gunsten seiner bösen Töchter Goneril und Regan zerreißt, er ist der pensionierte Herrscher, der sich sinnlos mit renitentem Gesinde (am besten macht das Markus Hering als finsterer Verwalter Oswald) anlegt, er ist der halb nackte Clochard, den es wie eine Figur des Absurden über die unwirtliche Heide treibt. Er ist der Voss, der alles darf. Wie bescheiden hingegen gibt Minichmayr den burschikosen, weisen Narren; ein Unikum wie Karl Valentin ist sie, in zu kurzen Hosen, sagt die ganze Wahrheit in halben Sätzen, ein zitterndes Bürschlein wird sie im bitterkalten Unwetter, ehe sie wie ein Requisit, das seine Schuldigkeit getan hat, von der Bühne getragen wird. Gerne hätte man länger den schönen Versen gelauscht, die Peter Handke für diese Produktion dem Narren angedichtet hat. Sie sind stärker als die mäßige Übertragung des „King Lear“ für diese Inszenierung durch Bischofberger, Bondy und Layton.

Doch das mindert kaum die Intensität des Schauspiels. Es beginnt artig und bedächtig auf fast leerer Bühne mit der zarten, Schnur springenden Cordelia (Adina Vetter) im weißen Mädchenkleid. In der Mitte liegt achtlos hingeworfen die Krone. Das ist immer tödlich im elisabethanischen Drama.

Raffinierte Körpersprache

Leicht hüpft die jüngste Tochter, des alten Vaters schweigende Liebe, über das goldene Ding. Sie, die Reine, sagt, was sie fühlt, nicht, was von ihr erwartet wird. Auch der Herzog von Kent (großartig Klaus Pohl, erst als guter Beamter mit Goldrandbrille, dann als verwilderter Begleiter des Königs mit wehendem Haar), der Graf von Gloster (berührend Martin Schwab) und dessen Sohn Edgar (Philipp Hauß) – die Guten also – sagen, was sie fühlen. Das bringt sie in die Defensive gegen die Bösen, die Sprache immer rhetorisch nutzen, wie eine Degenspitze.

Die Dinge gewinnen an Tempo, um im Rühren des Sturms auf der Heide im dritten Akt zu kulminieren und in drastischer Gewalt zu enden. Lear im Orkan wirkt schon etwas manieriert mit wehendem weißen Haar, da ist mehr Schau als Redekunst. Die aber soll diesen brutalen, oft banal scheinenden Text dominieren. Vorteile verschafft man sich an Lears Hof durch falsche Worte, verhüllte Intentionen. Die hohe psychologische Kunst Bondys besteht nun darin, diese Absichten durch die Körpersprache begreifbar zu machen. Schon im harmonisch scheinenden ersten Gruppenbild des Königs mit seinen drei Töchtern sieht man das Lauernde in Goneril, das Verspannte an Regan, das Arglose bei Cordelia.

Und Lear? Er ist nicht wirklich zu durchblicken, selbst wenn er den Verfall schon in sich trägt, bereits zu Beginn den gebückten Gang des Greises hat, wenn er sich triumphierend auf die zum Stock umfunktionierte, eingerollte Landkarte stützt. Lear ist erschöpft vom ersten Auftritt an. Er spricht seine grausamen, schwer zu erfassenden Verse wie in Trance, er ist nicht mehr Akteur, sondern Getriebener. Von Anfang an ist Ende. „Wer hier denn kann mir sagen, wer ich bin?“, fragt Lear. „Lears Schatten“, antwortet der Narr. Er trifft es genau.

SHAKESPEARE-ZYKLUS: Lear

Festwochen-Chef Luc Bondy führt bei der Koproduktion mit dem Burgtheater Regie. Bühne: R. Peduzzi, Musik: R.Saunders, Dramaturgie: D. Sturm, W. Wiens.

Termine: 2., 5., 7., 9., 13., 16., 20., 23., 26.Juni, 19Uhr. Telefon: 01/589 22 11.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.