"Ich will Oper singen!"

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England. Paul Potts, ein Handyverkäufer aus Wales, wurde durch eine TV-Show schlagartig berühmt: mit einer Puccini-Arie. Wunderkind, Betrüger – oder Opfer?

Es war einmal ein armer Handy-Verkäufer aus Wales, der nur einen Wunsch hatte: Opern zu singen. Eines schönen Tages nahm er all seinen Mut zusammen und ging ins Schloss – nein, ins Fernsehen. Dort saßen zweitausend Leute im Kreis und in diesem Kreis stand ein Tisch mit zwei gut aussehenden Männern und einer schönen Frau, die über ihn richten sollten. Die schöne Frau fragte ihn: „Warum bist du heute hier, Paul?“ – „Um Oper zu singen“, antwortete Paul mit glänzenden Augen. Und die Richter nickten und verkniffen sich gleich wieder ihr ironisches Lächeln. Dann aber tönten Klänge aus den Lautsprechern – Puccinis „Nessun dorma“ – und Paul begann zu singen. Und es war so schön, so schön, dass das Publikum zum Jubeln, zum Schreien und zum Weinen anfing, so schön, dass die hohen Herren sich verdutzt die Ohren zupften und auf die Lippen bissen. Die schöne Frau aber wischte sich am Ende ein paar unsichtbare Tränen aus dem Gesicht und sagte: „Ich glaube, wir haben hier ein kleines Stück Kohle, das sich in einen Diamanten verwandeln wird.“

Modernes Aschenputtel-Märchen

Abgespielt hat sich dieses schöne Aschenputtel-Märchen bei der neuen britischen TV-Show „Britain's Got Talent“. Das beste Amateurtalent Englands war gesucht, nach dem Vorbild der US-Show „American Idol“, deren für seinen Zynismus gefürchteter Juror Simon Cowell auch die britische Variante erfunden hat.

Anders als bei „Starmania“ ist die Suche dabei nicht auf Popmusik beschränkt, auch Kabarett oder Akrobatik etwa sind erlaubt. Am Samstag stand der Sieger fest: der Puccini-singende „Handy-Verkäufer aus Wales“.

Im Internet ist aber längst eine wahre Pott-Manie ausgebrochen: Das Video seines ersten TV-Auftritts kursiert mit ungeheurer Resonanz, allerorten in Amerika und Europa schreiben sich Blogger ihre Begeisterung von der Seele über diesen schüchternen dicklichen Mann mit den schlechten Zähnen, der mit hängenden Armen vor dem Mikrofon steht, lächelnd wie ein kleiner Bub, der noch an den Weihnachtsmann glaubt, und im nächsten Moment alle mit seinem Gesang zum Staunen bringt.

Wunderkind oder Betrüger? In den Internetforen kursieren auch noch andere Versionen der rührenden Geschichte: Paul Potts sei in Wahrheit gar kein Amateur, sondern professioneller Opernsänger und sogar ein Schüler Luciano Pavarottis!

Tatsächlich findet man einen „Paul Potts“ auf der Homepage einer Amateur-Provinzoper: dem Opernhaus in der westenglischen Kur-Stadt Bath. Dort erfährt man, dass der Sänger immerhin einmal eine Meisterklasse bei Luciano Pavarotti absolviert hat, auch, dass er mit dem Royal Philharmonic Orchestra aufgetreten ist (ob als Solist oder im Chor, wird nicht verraten) und in Bath unter anderem Verdis Don Carlos gesungen hat.

Ein Schüler Pavarottis?

Über diese kleine Sängervergangenheit hat man in der Show freilich kein Wort erfahren. Auf der Homepage des Senders ITV wird sie allerdings nicht verschwiegen, und dort steht auch, wie es mit Paul Pott nach 2003 (aus diesem Jahr stammt der Internet-Eintrag der Bath Opera) weiterging: Er hatte einen Motorradunfall, musste zu singen aufhören und arbeitete in den vergangenen drei Jahren tatsächlich als Verkäufer.

Er liebe Shows, bei denen „gewöhnliche Menschen mit gewöhnlichen Jobs“ antreten, „und dann sieht man ganz was anderes“, verkündete Show-Gründer Simon Cowell. Ja, was? Eine perfekte Inszenierung, die von echten Träumen, echten Tränen schmarotzt: denen des Publikums und denen Paul Potts, dessen Stimme in Wahrheit nie für eine Sängerkarriere ausreichen wird.

Aber noch darf er vor der Queen singen, bekommt 100.000 Pfund und darf sogar mit Juror Simon Cowell ein Debütalbum produzieren. Spätestens auf der Opernbühne dann, ohne Mikrofon und „Nessun dorma“, wird der Traum grausam enden. Aber das kümmert dann niemanden mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2007)

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