Architektur: "Paris ist ein wilder Dschungel"

(c) APA (Feichtinger Architects)
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Architekt Dietmar Feichtinger über Hochhäuser und anderes Brainstorming für die heutige Stadt.

Die Presse: In Paris wurden in jüngerer Zeit ganze Stadtviertel in Zentrumsnähe neu errichtet. Sind die Pariser aufgeschlossener gegenüber Neubauten als die Wiener?

Dietmar Feichtinger: Paris ist eigentlich eine sehr konservative Stadt. Sie wurde auch immer konservativ regiert, z.B. von Chirac, der Bürgermeister war, bevor er Staatspräsident wurde. Die neuen Stadtviertel in Zentrumsnähe haben mit verschiedenen Dingen zu tun. Z.B.: Man glaubte, dass die Villes Nouvelles, die neuen Städte außerhalb von Paris, aber in der Nähe, eigene Zentren bilden werden. Das hat nicht funktioniert. Denn der Wasserkopf Paris zieht unheimlich stark an. Heute marschiert man in die Gegenrichtung. Die Stadt hat Grundstücke, kauft welche dazu, investiert in sozialen Wohnbau. Man nutzt bestehende Stadtbrachen für Wohnungen und öffentliche Bauten, Bahnhöfe, Weinhallen, die früheren Mühlen von Paris. Dort ist jetzt die Nationalbibliothek.

Wohnen ist in Paris viel teurer als in Wien.

Feichtinger: Das ist richtig. Die Wohnungspreise in Paris sind enorm. Eine 80-Quadratmeter-Wohnung in Wien kostet 100.000 Euro, in Paris das Dreifache. 5000 Euro pro Quadratmeter in der Stadt sind normal. Die Wohnungen sind oft unendlich klein. Zimmer mit neun Quadratmetern sind die Regel. Viele Leute gehen 10, 15 Jahre nach Paris und ziehen dann in mittelgroße Städte, weil sie einfacher und näher zum Grünen leben wollen. Auch Verkehr, Stau, Luftverschmutzung sind dort weniger schlimm.

Frankreichs Präsidenten gelten als sehr kulturinteressiert und setzen immer wieder Großbauten durch: Pompidou das Centre Pompidou, Mitterrand die Nationalbibliothek, Chirac das Musée du Quai Branly, das Völkerkundemuseum von Jean Nouvel. Was wird sich Nicolas Sarkozy bauen lassen?

Feichtinger: Ich glaube, diese Lust an der Repräsentation vermindert sich. Prinzipiell: Die französische Sicht von Herrschern und anderen Entscheidungsträgern ist anders, positiver als hier. Es gibt eine Tradition in der Verherrlichung von Macht. Die Elite ist anerkannt. Es ist kein Problem, elitär zu sein. Das zeigt sich auch im Schulsystem. Trotzdem hängen sich viele Politiker das Etikett des Sozialen um. Der soziale Bruch war das Kernthema von Chiracs vorletztem Präsidentschaftswahlkampf.

Haben die Revolten in den Pariser Vororten auch architektonische Gründe?

Feichtinger: Architektur kann nur bis zu einem gewissen Grad Defizite der Sozialpolitik ausgleichen. Die Architekten der Suburbs hatten sehr wohl einen Sinn für Freiraum, Wohnungsqualität. Die erste Generation, die dort einzog, war auch zufrieden. Es gibt ja enormen Wohnungsmangel in Paris. Die Leute, die es sich leisten konnten, sind aber wieder weggezogen, weil die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel schlecht ist. Außerdem sind diese Siedlungen trostlos. Es gibt keine Geschäfte, kein Kino, keine Kulturzentren, das Grün wurde extrem vernachlässigt oder asphaltiert. Die Situation ist aber sehr unterschiedlich. In Nanterre etwa, wo wir eine Schule planen in einem Viertel, auf das die Stadt besonderen Wert legt, gibt es keine Unruhen.

Sie sind seit bald 20 Jahren in Paris. Wie erleben Sie die Stadt, wie hat sie sich verändert?

Feichtinger: Man sagt den Franzosen Chauvinismus nach. Ich denke, das ist auch ein Schutzmechanismus. Die Stadt ist ein wilder Dschungel. Das soziale Verhalten der Leute ist geprägt von Aggression. Man ist ständig mit sehr vielen Leuten zusammen, und alle haben ein großes Tempo. Wenn ich in Wien bin, habe ich immer das Gefühl, ich müsste die Menschen in der U-Bahn anschieben. Man verbringt in Paris viel Zeit mit Hin- und Herfahren zwischen Terminen, weil die Entfernungen so groß sind. In Wien ist man schnell raus aus der Stadt, in Paris nicht. Die Lebensqualität in Wien ist höher.

Gibt es in Paris eine Hochhaus-Diskussion?

Feichtinger: Das ist ein extrem sensibles Thema. Lustig ist: Die Franzosen orientieren sich hier stark an Wien. Die Wien-Mitte-Diskussion hat man genau verfolgt. Meine Ansicht ist: Hochhäuser sind wichtig, wenn man die Stadt verdichten will, und das muss man, um Platz für Wohnungen zu schaffen und nicht gleichzeitig alle Freiflächen zu verlieren. Es gibt viele Halbwahrheiten über Hochhäuser – zum Beispiel, dass sie Energieverschwender sind. Das trifft auf die alten Hochhäuser zu, aber nicht auf die neuen. Wir machen derzeit eine Hochhausstudie. Insgesamt wurden von der Stadt zwölf Büros damit beauftragt, Hochhäuser an vorgegebenen Plätzen innerhalb der großen Agglomeration, aber an ihrem Rand, zu simulieren. Derzeit gibt es einen absoluten Plafond von 37Metern. Die Grundfrage ist: Will man so weiterleben wie bisher, oder versucht man eine Neudefinition? Wie kann man eine Stadt heute erweitern und Freiräume schaffen, wahren? Da finde ich das Thema Höhe interessant als Ausweichmöglichkeit.

BAUTEN & BIO: Feichtinger

Der Architekt (45) aus Bruck/Mur studierte in Graz und lebt seit fast 20 Jahren in Paris. Bauten u.a.: Dreiländer-Brücke über den Rhein zwischen Weil und Huningue (F), Donau-Uni Krems, Kunsthaus Weiz, Landeskrankenhaus Klagenfurt (wird 2008 fertig). [Michaela Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2007)

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