Luk Perceval: "Molière ist vollkommen nihilistisch"

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Interview. Der flämische Regisseur Luk Perceval über Liebe und Scham, Leere und Qual – und Pässe beim Fußball.

Wir waren sehr glücklich mit der Premiere, wir haben lang und intensiv gearbeitet, und so wie ich es erfahren habe, war es ein großer Erfolg“, sagt der flämische Regisseur Luk Perceval nach der Aufführung von „Molière. Eine Passion“, das noch bis Freitag auf der Perner-Insel in Hallein gezeigt wird. Den Einwand, dass die meisten Kritiker das Stück verrissen haben, wischt der 50-Jährige lächelnd weg: „Ich lese keine Kritiken.“

Ein halbes Jahr hat er geprobt. Ist er jetzt leer gespielt? „Es war ein sehr langer Weg. Ich bin vor allem stolz.“ Was in seinen Aufführungen zum Ausdruck komme, sei Fatalität. „Es ist ein Versuch, die Leere zu akzeptieren, daran glaube ich nämlich, dass das der Sinn des Theaters ist. Es hat auch einen Unterhaltungsfaktor, aber der wird schon von den anderen Medien so massiv bedient, dass Theater etwas anderes braucht.“ Glaubt er also an das Nirwana? „Nein, aber die Stücke, die uns geblieben sind, haben ganz viel mit Sterben zu tun. Heiner Müller hat gesagt, die Komödie sei ein Lachen, die Tragödie ein Weinen über den Tod.“

Volkstheater mit Subversivität

„Was mich an Molière interessiert hat, war seine Subversivität. Er ist ein Mensch, der versucht hat, die Wahrheit zu zeigen, andrerseits sehr unverschämt war. Er hat Volkstheater geboten. Ich habe diese Direktheit gesucht.“ Gibt es für ihn Schranken der Darstellung? „Wir haben hier einen Don Juan, der in der Vielweiberei den Tod sucht, die Impotenz und die Vergänglichkeit der Körper spielen eine wichtige Rolle. Um das auszudrücken, zeigen wir einen Mann, der onaniert, ohne dass er irgendetwas erreicht. Er sitzt bis zu den Hüften im Schnee, also Pornografie ist das nicht. Ich finde, das ist ein eher poetisches Bild. Es ist sehr traurig. Theater soll uns auch die Augen öffnen für das, was wir nicht sehen wollen.“

Welchen Unterschied gibt es zu Shakespeare, dessen Königsdramen er zu einem Zwölf-Stunden-Stück verwob? „Bei Shakespeare gibt es noch den Menschen, der auf der Suche ist nach einem gewissen Zusammenhang. Molière ist vollkommen nihilistisch. Der Mensch ist bei ihm eine pure biologische Erscheinungsform, er ähnelt den Tieren.“ Wie wird Perceval mit dieser Leere fertig? Kann man darin einen Dramatiker wie etwa Beckett denn noch überbieten? „Es ist schwierig, dessen Stücke überhaupt zu spielen, sie handeln vom Ungreifbaren. Sobald man versucht, das darzustellen, wird es in der Dimension bereits verkleinert. Schon lange ist es mein Traum, Warten auf Godot zu inszenieren – das ist ein wahnsinnig schwieriges Ding. Man verbleibt ein wenig auf dieser Welt, ist Teil eines großen Ganzen, aber es ist nie genug. Dieses Stück ist eigentlich sehr lustig, wird aber selten so gespielt, meistens ist es trocken-konzeptuelles Kopftheater. Beckett hat die traurige Selbstironie von Buster Keaton.“

Wie gelangte Perceval zum Schauspiel? „Ich komme aus einer Schiffer-Familie, bis zu meinem neunten Lebensjahr bin ich mit meinen Eltern den Rhein raufgefahren. Dann gab es einen Schiffbruch, mein Vater suchte sich Arbeit an Land. Wir gingen selten ins Theater. Ich wollte eigentlich Fußballer werden und habe es sogar in die U17-Bundesliga geschafft. Aber ich war dann viel verletzt.“ Er wollte Philosophie und Psychologie studieren. „Meine Mutter hat mich, als ich sechzehn war, an eine Schauspielschule geschickt, weil mein Lehrer sagte, ich sei zu scheu. Dann wurde mir bestätigt, dass ich Talent hätte. Nach sechs Jahren war ich Schauspieler, gleich am Nationaltheater in Antwerpen. Ab dem Moment habe ich das Glück gehabt, selber Schauspielunterricht zu geben. Da habe ich sehr viel gelernt.“

Theatertiere wie Brando und Thieme

Hat Perceval die Schönheit gefunden in seiner Arbeit? „Ich mache seit 1984 Theater. Wirklich schön daran ist, dass man abhängig ist. Ein Regisseur schafft nichts ohne die kreativen Impulse seiner Schauspieler, die Schauspieler kommen nur miteinander weiter. Ohne gemeinsame Liebe für das Stück oder das Thema macht man nur seinen Beruf und hat es nichts mehr mit Kunst, Beseelung zu tun. Wenn das Theater nicht als Kunstform, sondern als Beruf, als Auftrag gesehen wird, kann es sehr bitter werden. Das Schöne am Theater ist, dass es dir einen Weg zur ,Freude‘ eröffnet.“ Der Theatermacher geht lange Bindungen mit seinen Schauspielern ein. „Ein Schauspieler ist für mich ab dem Moment interessant, da er ein Geheimnis hat. Das hatte Marlon Brando, das hat auch Thomas Thieme. Sie sind Theatertiere. Sie haben die Qual, sich zu schämen, treten aber über ihre Grenzen hinaus. Ich halte nichts von Virtuosen.“

Was kommt nach Molière? „Bis Sommer 2009 habe ich einen Vertrag mit der Schaubühne in Berlin. Da machen wir noch Penthesilea, dann Shakespeare, aber das ist noch nicht definitiv. Ich werde ab und zu eine Oper machen und Dokumentarfilme.“ Warum nicht selbst Stücke schreiben? „Ich mache Konzepte, lade Autoren ein wie Schauspieler, bitte sie zu schreiben. Ich bin ein dramaturgischer Coach, ein alter Fußballer. Mittelfeld. Ich verteile die Pässe.“

THEATER: Flämische Welle

Luk Perceval war 1984 Mitbegründer der „Blauwe Maandag Compagnie“, 1997 von „Het Toneelhuis“ in Antwerpen. 1999 in Salzburg: „Schlachten“ – Shakespeare total.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2007)

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