„Die freie Rede hat Grenzen“

Bundeskanzler Gusenbauer diskutierte im Rahmen seines USA-Besuchs mit Salman Rushdie.

Ist der Wohlfahrtsstaat Brutstätte für Terrorismus? Funktioniert das US-Modell bei der Integration besser, da es bisher keine hausgemachten Terroristen gab, anders als etwa bei den Anschlägen in London? Als gäbe es bei der UN-Generalversammlung nicht genug Fragen, ließ sich Bundeskanzler Alfred Gusenbauer in der Nacht auf Dienstag vom Österreichischen Kulturforum in New York zu einer Diskussion einladen, „Kulturelle Vielfalt und politische Vernunft“. Diskussionspartner war Salman Rushdie, man diskutierte auf Englisch. Vorweg: Wer einen stotternden, um Vokabeln ringenden Gusenbauer erwartet hatte, wurde enttäuscht.

Natürlich sei diese Annahme völlig falsch, antwortete Gusenbauer auf die eingangs erwähnte Frage von Moderatorin Kati Marton, einer Journalistin: Nicht der Wohlfahrtsstaat schaffe Terroristen, sondern u.a. der Mangel an positivem Patriotismus und verbindenden Symbolen, die es in den USA zuhauf gebe, von der Fahne bis zum Dollar. Rushdie verwies auf den Hintergrund der Terroristen: gesellschaftliche Mittelklasse. „Ein bisschen Wohlstand“, meinte Rushdie, gegen den es noch immer eine Fatwa gibt, „ist anscheinend schlecht.“ Großbritannien habe den Fehler gemacht, radikalen Islamismus zu lange toleriert zu haben. Nicht nur im Westen lehne man solche Ideen ab, auch „viele Moslems wollen mit Radikalismus und Terrorismus nichts zu tun haben“.

Ahmadinejad nicht reden lassen

Bemerkenswert war der Einklang der beiden Diskutanten bei der Frage, wie frei freie Rede sein darf, aktuell durch die Aufregung um den Auftritt des iranischen Präsidenten Ahmadinejad in New York. „Es ist leicht, die freie Rede zu verteidigen, wenn man mit dem Redner übereinstimmt. Schwerer ist es, wenn man seine Argumente nicht teilt“, sagte Rushdie. Ahmadinejad hätte man dennoch nicht an der Columbia-Universität reden lassen dürfen, weil er seinem Volk im Iran auch keine freie Rede zugesteht.

Für Gusenbauer hatte „die freie Rede immer schon Grenzen“. Ahmadinejads Auftritt habe man als akademischen Diskurs dargestellt, wo es in Wahrheit um einen Mann gehe, der die Welt bedroht. Der Bundeskanzler verwies zudem auf das NS-Verbotsgesetz, das es in Österreich unter Strafe stellt, etwa den Holocaust zu leugnen.

Für Rushdie resultierte daraus der Fehler, David Irving den Prozess gemacht zu haben. „Damit schuf man einen Märtyrer. Niemand nahm ihn bis dahin ernst, aber dann war er für die ganzen Rechten ein Symbol.“ Es wäre eine größere Strafe für Irving gewesen, „ihn schlicht zu ignorieren“. Gusenbauers Antwort fiel aber dem nächsten Thema zum Opfer: Türkei. Gusenbauer beharrte, dass das Land für die EU nicht bereit sei. So lange es in der Türkei keine fundamentalen Freiheiten gebe und Einwohner in EU-Staaten um politisches Asyl ansuchen müssten, so lange könne es keine Mitgliedschaft in der Europäischen Union geben.

Damit waren die 90 Minuten Diskussionszeit erschöpft, und das Publikum offenbar auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2007)

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