Charakterköpfe an der Burg: „Eitel? Wir? Nie!“

die Presse (fabry)
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Martin Schwab und Ignaz Kirchner über die Lust am Spiel, '68 – und wie Franz Morak sie abfertigte.

Seit 20 Jahren, fast seit Beginn der Ära von Claus Peymann, gehören sie zum Ensemble des Burgtheaters. Peymann ging, Martin Schwab und Ignaz Kirchner sind geblieben, beziehungsweise zurückgekommen. Nun ehrt sie das Haus mit einem Prachtband. Im Café Eiles, am Brandauer-Tisch, reden die beiden über schwierige Regisseure, die 68er und die Video-Generation, immer wieder aber über das eine: die Wortkunst. Und das Feuer, das sie dabei noch verspüren.

Der gütige Schwab und der dunkle Kirchner, wie finden einander diese beiden ungleichen Charaktere eigentlich gegenseitig? Schwab: „Alles, was der macht, ist toll!“ Kirchner: „Alles, was der macht, ist toll! Schwab hat aber auch noch so etwas Sanftes. Das finde ich auch gut.“ Schwab: „Du musst ja immer auch den Rebellen spielen! Und noch etwas unterscheidet uns. Ich fahre öffentlich, Kirchner fährt mit dem Taxi. Du fährst doch mit dem Taxi, du faule Sau!“ Schwab grinst, Kirchner lächelt wie bei einem Kompliment: „Taxi ist vorbei, ich gehe lieber zu Fuß, du fauler...“

Nun, wie war das damals in den Siebzigerjahren in Stuttgart, beim politischen Peymann? Kirchner: „Peymann hat damals eine seiner wichtigsten Inszenierungen gemacht, Die Gerechten von Camus, über den Terrorismus, das war ein Skandal!“ Er beschreibt einzelne Szenen, auch Schwab kommt ins Schwärmen. Für die Kritik der Jungen an Altmeistern zeigt er Verständnis: „Die wollen sich natürlich absetzen. Stein und Peymann haben einst ja auch auf die ganzen Alten Druck gemacht. Das finde ich ganz gut, dass sie etwas dagegen setzen. Ob sie es können, ist eine andere Frage.“

Peymann will jung bleiben

Und Peymanns verletzte Eitelkeit? Kirchner: „Das liegt daran, dass er seine Jugendlichkeit bewahren will. Wenn ich meine Jugend ansehe, da habe ich doch viel Blödsinn gesagt. Wenn man älter wird, sollte man sich die Sachen genauer anschauen. Peter Brook ist im Vergleich geradezu ein weiser Mann.“

Dann aber nehmen sie die Verteidigung der Freiheit willig auf. „Die 68er haben wirklich viel erkämpft,“ sagt Kirchner, „sonst wäre in Deutschland heute vieles anders.“ Schwab: „Wogegen sollen die Jungen denn heute kämpfen? Gott sei Dank gab es vor vierzig Jahren diesen Aufbruch. Die Anfänge der RAF waren vollkommen berechtigt, Ulrike Meinhofs Kampf gegen den Kaufrausch etwa, da hat sie ein Fanal gesetzt, in dem ein Kaufhaus ein bissl angezündet wurde, abends, als niemand drin war. Die wurden durch die Reaktion des Staates in den Terror getrieben, den man danach natürlich überhaupt nicht verteidigen konnte.“

Kirchner: „Denken Sie daran, wie die Künstler damals beschimpft wurden!“ Schwab: „Man galt rasch als Sympathisant. Ein Kollege, der Quartiergeber der RAF gewesen sein soll, kam drei Jahre ins Gefängnis. Dem haben wir vom Ensemble täglich geschrieben und zehn Mark in den Brief gesteckt, für Zigaretten. Es war aber schwer, überhaupt seine Adresse herauszufinden.“

Vor zwanzig Jahren, als sie nach Wien kamen, sei es auch schlimm gewesen. Kirchner: „Da fing Österreich erst an, die Geschichte aufzuarbeiten. Das war für das Theater nicht gemütlich. Da wurden die deutschen und österreichischen Schauspieler auseinander dividiert. Franz Morak, der damals Ensemble-Sprecher war, hat Martin und mich einmal aus seiner Wohnung komplimentiert. Wir wollten sozusagen als Vertreter der deutschen Fraktion ein Versöhnungsgespräch führen. Es war eisig.“

Schwab: „Mein Kollege Fritz Muliar hat in einem Interview vorgeschlagen, man solle diese deutschen Personen im Burgtheater bei Freilassing über die Grenze treiben. Krone-Kolumnist Staberl schrieb, da gebe es einen Schauspieler Martin Schwab, den Namen müsse man sich nicht merken.“

Welche Stücke wünschen sie sich noch, welche Regisseure? Kirchner: „Hoffentlich noch viel Shakespeare, Tschechow, Schnitzler, ich würde gerne einmal in einem Nestroy spielen. Ich lese Ihnen einmal einen Satz vor, den sollte jeder Direktor als Präambel in den Vertrag setzen: Jeder Regisseur, der das Theater als eine riesige Palette begreift, die nur dazu da ist, um seine eigenen, persönlichen Ideen zu inszenieren, der diese gesamte komplexe Maschinerie des Theaters als Stift in seiner Hand betrachtet und als Gelegenheit, die eigene Fantasien niederzuschreiben, hat verloren. Diese Sichtweise gehört der Vergangenheit an. Das hat Peter Brook geschrieben. Jetzt könnte man sagen, Opa Kirchner hält noch was von Werktreue. Aber manche Regisseure sollten wirklich lieber zum Kino gehen und ihr eigenes Drehbuch schreiben.“Wie gehen sie mit Ruhm um? Schwab: „Was heißt das schon, Ruhm? Du spielst die tollsten Rollen im Theater, und wenn du einmal im Fernsehen in einem doofen Film auftrittst, bist du berühmt.“ Im Chor: „Wir sind die einzigen Schauspieler, die nicht eitel sind.“ Sie lachen verschwörerisch: „Eitel? Wir? Nie!“ Schwab: „Für mich ist immer der Maßstab, wie sich jemand einsetzt.“

Kirchner: „Wir bleiben bodenständig. Da kann ich nur einen Dichter zitieren: Wie rasch vergeht doch alles, was vergeht. Wie schnell verstirbt doch alles vor den Göttern. Wir wissen nichts, und Fantasie ist alles. Umkränz mit Rosen dich und trink und liebe und schweig – der Rest ist nichts. Das hat Pessoa geschrieben. Gerade in unserem Beruf geht das schnell mit dem Ruhm. Uns flicht die Nachwelt keine Kränze.“

Sind zwei solche Stars aber nicht beängstigend für junge Kollegen? Kirchner: „Wir geben denen ja was weiter.“ Schwab: „Wir sind offener, als die Jungen es vermögen zu sein. Die sind oft nur mit sich beschäftigt.“ Kirchner: „Als ich anfing zu spielen, wusste ich genau, was der Gründgens oder die Flickenschildt oder Kortner gemacht haben. Das scheint heute anders zu sein.“ Schwab entschuldigt: „Die Jungen orientieren sich heute eben am Film.“ Kirchner: „Man könnte sich aber auch ansehen, was der Grüber vor 30 Jahren gemacht hat. Ob den noch jemand kennt? Da war jede Inszenierung etwas Eigenes. Heute scheint so vieles gleich.“

„Ich brauche keinen Therapeuten!“

Schauspieler ist Kirchner geworden, weil er so ein Leben leben darf, das er abseits der Bühne nicht führen kann. „Das geht schon wegen meiner Erziehung nicht. Auf der Bühne bin ich frei. Da kann ich meine Fantasie ausleben. Außerdem macht mir der Spielvorgang noch immer Spaß.“ Schwab schreit: „Ich brauche keinen Therapeuten!“

Wann hat Schwab am meisten geglänzt? Kirchner: „Oft. Wenn mir sein Spiel besonders gut gefallen hat, dann kriegt er eine Karte von mir, vom verrückten Ignaz.“ Nun zückt Schwab ein Kuvert und reicht es dem Kollegen: „Eh ich's vergess', das trage ich jetzt schon seit Monaten herum, da steht Ignaz drauf, meine Frau hat es mir gegeben. Jetzt habe ich endlich Gelegenheit, es dir zu geben.“ Erklärend: „Kein Liebesbrief, nur ein Foto von uns. Ignaz ist für mich Theater. Wenn er in einem Stück mit mir besetzt ist, fühle ich mich nicht allein.“

ZWEI CHARAKTERKÖPFE

Ignaz Kirchner (eigentlich heißt er Hans-Peter) wurde 1948 in Andernach geboren. Nach einer Buchhändlerlehre wandte er sich dem Schauspiel zu. Wichtige Stationen: Berlin, Stuttgart, Bremen, München, Wien, Hamburg. Unvergessen sind seine Auftritte mit Gert Voss. 1991 Kainz-Medaille, 1998 Österreichs Schauspieler des Jahres.

Martin Schwab (*1937) stammt aus Möckmühl. Er ließ sich zum Chemiekaufmann ausbilden, ehe er 1959 an die Max-Reinhardt-Schule in Berlin ging. Wichtige Stationen: Ulm, Stuttgart, Bochum, Frankfurt am Main, Wien. Auszeichnungen: 1992 Kainz-Medaille, 2000 Nestroy-Preis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2007)

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