"Der Löwe im Winter": Fetzen fliegen zwischen West und Ost

(c) AP (Stephan Trierenberg)
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Burgtheater. Shakespeare-Verschnitt „Der Löwe im Winter“: Soap mit ein paar fantastischen Schauspielern.

Ein Land mit dem Savoir Vivre der Franzosen und dem Common Senseder Briten – was wäre das für ein edler Teil Europas geworden! Doch die beiden Mächte zerstörten einander in endlosen Kriegen, schon vor dem Hundertjährigen. Über die Konflikte zwischen England und Frankreich im 12. Jh. hat US-Autor James Goldman ein Melodram geschrieben, das Anthony Harvey mit Katharine Hepburn und Peter O'Toole 1968 verfilmte.

Der Text ist Shakespeare ohne Poesie, also schlechter Shakespeare, das Stück aber auf eine routinierte Weise gut gebaut. Hepburn und O'Toole sind wunderbar. Das bis heute attraktive Historiendrama mit reichlich Ritter-Romantik bekam drei Oscars, einen erhielt Hepburn, einen der Autor.

Der Löwe wirkt wie ein Stubentiger

Im Burgtheater wird die Geschichte nun etwas anders erzählt, wenn auch nah an Goldmans Text. Statt um ein Königreich, das unter drei Söhnen aufgeteilt werden soll, geht es um ein Wirtschaftsimperium, statt um England und Frankreich geht es um West und Ost. Der 39-jährige polnische Regisseur Grzegorz Jarzyna setzt sein Erfolgsrezept mit modernisierten Klassiker-Stoffen fort, das er in Wien mit „Medea“ im Kasino begonnen hat. Aus Heinrich II. von England wird der Wirtschafts-Tycoon Henry, aus Königin Eleonore von Aquitanien wird Eleanor, die ihren Mann an eine Jüngere verliert.

Zu Beginn sieht man auf der technoiden Bühne mit gläsernen Zellen, die an Castorf erinnern (Ausstattung: Magda Maciejewska), die blonde Alais und Henry beim Liebesspiel, aber nur die Füße: Charmante Reminiszenz ans polnische Bilder-Theater.

Doch Ach, Autor Goldman hatte mehr die alte Hollywood-Schmonzette im Visier. Seine Figuren bewegen sich wie auf Schnüren gezogen auf Pfaden, die Freud vorgezeichnet hat – und die unweigerlich im „Dynasty“ & „Dallas“-Nirwana enden. So kommt über weite Strecken der zweieinhalb Stunden mit Pause alles allzu sehr, wie es kommen muss. Der Alte, der sein Imperium nicht zuletzt dank Geld und Schlauheit seiner Gattin aufbauen konnte, muss an mehreren Fronten kämpfen. Seine drei Söhne entsprechen exakt den Klischees unglücklicher Unternehmer-Familien. Papas Liebling John, der Jüngste, soll alles bekommen. Leider ist er ein Trottel. Geoffrey, der Mittlere, könnte John helfen, aber er will selber an die Macht. Außerdem ist er ein öder Technokrat. Der älteste Sohn, Richard, hätte das Zeug fürs Geschäft. Doch: Den knallharten Burschen gibt er nur vor. Mama Eleanor hat ihn früh durch Inzest ruiniert– aus Rache am fremd gehenden Gatten. Richard wurde zum homosexuellen Mama-Trabanten. Von den dreien ist er dennoch der Beste.

Papa Henry aber schmiedet längst neue Pläne. Er will die ganze Familie aussperren – im Keller eingesperrt hat er sie schon – und mit seiner Blondine eine neue Familie gründen. Da aber hört sich sowohl bei Eleanor als auch bei den ohnehin permanent übellaunigen Knaben der Spaß auf. Sie trachten dem alten Lear nach dem Leben. A propos Lear: Zu diesem passend fügte das Burgtheater die Aufführung in den Spielplan ein. Praktisches, Knalliges hat man gebraucht, für die „Wallenstein“-Proben und um die Zeit bis zu dessen Premiere im Dezember zu überbrücken. „Der Löwe im Winter“ gibt nebenbei auch Gelegenheit, über die skurrilen Bemühungen der Burg nachzudenken, einen halbwegs ebenbürtigen Gegenspieler, vielleicht auch Nachfolger für den allmählich, aber immer noch unerreichbar grandios witternden Gert Voss zu finden.

„Henry“ Wolfgang Michael wird es nicht sein. Er ist zwar ein beachtlicher Schauspieler und in dieser Aufführung ein herrlich schlaues Aas, aber wenn er brüllt wie ein Löwe, klingt es eher wie das Fauchen eines Stubentigers. Vom Charisma alter Industrieller, Nationalbank-Präsidenten u. Ä. ist Michael weit entfernt. Getragen wird die Aufführung von Sylvie Rohrer als wahrhaft königlicher Salondame Eleanor. Mit Sauerstoff-Flaschen hält sie sich frisch, geht von einem zum anderen, offeriert Liebe, die todsicher ihrem Machterhalt dient. Und diese Schlange wirkt dabei so herzenswarm, dass man auf die Bühne gehen, sie umarmen möchte und sagen: „Mama, was wünschst Du, ich tue alles für Dich!“ Tolle Leistung.

Furioses Finale macht einiges wett

Sven Dolinski gefällt als schlacksiger Milchbubi John, der Papas Geld ausgeben möchte. Philipp Hauß ist als Geoffrey ein passend fades Sandwich-Kind, das raunzend seinen Teil vom Kuchen einfordert. Vergeblich. Markus Meyer hat starke Momente als schmallippiger Streber. Den Sieg trägt am Ende Philipp (kantig, fesch: Tomasz Tyndyk) davon, der Herausforderer aus dem Osten.

Sein Vater ließ sich noch demütigen und vom brutalen Business-Man Henry die Frau wegnehmen, Philipp ist aus härterem Holz geschnitzt. Er hat sich einen undurchdringlichen Panzer zugelegt, geht unbeirrbar aufs Ganze und lässt sich auch von seiner Schwester Alais, der Geliebten Henrys (Katarzyna Warnke), nicht rühren. Die Liebe hat keine Stimme im Spiel der Mächtigen.

Immer wenn Gefühle im Spiel sind, arrangiert Regisseur Jarzyna effektvolle pathetische Sequenzen, die freilich ein wenig artifiziell wirken. Das furiose Finale, wenn die Kontrahenten entfesselt aufeinander los fahren – mehr soll hier nicht verraten werden –, entschädigt für manch boulevardeskes Geschwätz davor. Die Burg hat mit dieser Produktion geschickt Zeit gewonnen. Das Publikum applaudierte keineswegs frenetisch – und hofft wohl, dass wirklich Großes im großen Haus bald folgen werde.

LÖWE & WALLENSTEIN.

„Der Löwe im Winter“ von James Goldman mit Wolfgang Michael, Sylvie Rohrer, Markus Meyer u. a. wird am 21. 11., 1., 2. und 5. 12. gespielt. „Wallenstein“ mit Voss hat am 19. 12. Premiere (Vorstellungen am 22. und 26. Dezember). ? 51444/4140

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2007)

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