Zeitgeschichte: Briefmarken brachten ihn auf Eichmanns Spur

Simon-Wiesenthal-Biograf Tom Segev forscht in Wien und spricht auf der Holocaust-Tagung.

"Viele Filme zeigen ihn, als ob er ein Geheimagent in einer Weltzentrale wäre. Dabei saß er nur in dem winzigen Büro in der Wiener Salztorgasse. Aber er hat dieses Image selbst gefördert. Je berühmter und gefürchteter er war, desto mehr Informationen bekam er." - Seit Wochen gräbt sich der israelische Journalist Tom Segev durch die Aktenberge, die "Nazijäger" Simon Wiesenthal bei seinem Tod vergangenen Herbst hinterlassen hat.

Segev, der als Gast des Internationalen Zentrums Kulturwissenschaften (IFK) in Wien ist, arbeitet an einer Biografie - der ersten, die sich nicht hauptsächlich auf Interviews mit Wiesenthal stützt, sondern auf den gesamten Nachlass. Er war ein notorischer Sammler, erzählt Segev. "Er sammelte alles, Akten, Briefmarken, Namen, Menschen." Seiner Markensammlung habe Wiesenthal auch so viele Kontakte verdankt. Und einer seiner Sammlerkollegen sei es auch gewesen, der ihn auf die Spur von Adolf Eichmann gebracht habe.

Viele umstrittene Punkte rund um Wiesenthal könnten durch den Nachlass geklärt werden, glaubt Segev. "Es gibt ja die Schwierigkeit der Glaubwürdigkeit." Etwa bei der Diskussion, wer nun wirklich dazu geführt hat, dass Eichmann entdeckt wurde: der israelische Geheimdienst, ein Mann in Argentinien, oder eben Simon Wiesenthal, wie er in seinem Buch "Ich jagte Eichmann" behauptet. "Viele glaubten ihm nicht, als er schrieb, er habe schon 1954, sechs Jahre vor Eichmanns Verhaftung, gewusst, dass Eichmann in Argentinien ist", sagt Segev. Wiesenthal versicherte auch, er habe das damals dem World Jewish Congress mitgeteilt. Dieser dementierte. "Aber Wiesenthals Brief liegt hier, in Wien!" Ebenso wie der Dankesbrief vom Präsidenten des Weltkongresses. Auch in den Archiven des World Jewish Congress fand Segev Wiesenthals Brief.

Heute, Dienstag, ist "Tag der offenen Tür" im Wiesenthal-Archiv - vielleicht die letzte Gelegenheit, es im "Originalzustand" zu sehen, bevor es mit dem Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde in einem "Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien" zusammengeführt wird. Anlässlich von dessen Gründung widmet sich ab Mittwoch die Tagung "The Legacy of Simon Wiesenthal for Holocaust Studies" der aktuellen Holocaust-Forschung. Zu Gast ist etwa der US-amerikanische Historiker österreichischer Herkunft Raul Hilberg, Autor von "Die Vernichtung der europäischen Juden", dem Standardwerk zur Holocaust-Geschichte.

Tom Segev wird dabei über Wiesenthal und die Holocaust-Erinnerung in Israel sprechen. "In Israel war die Lehre aus dem Holocaust: Es muss einen starken israelischen Staat geben." Der Holocaust-Überlebende Wiesenthal habe eine viel weitere, humanistische Auffassung des Holocaust gehabt. "Er beschäftigte sich nicht nur mit verfolgten Juden, sondern auch mit Roma, Homosexuellen, mit Menschenrechtsverletzungen aller Art." Außerdem sei er gegen jede Kollektivschuld gewesen. "Wenn man in Israel ,Eichmann' sagte, meinte man den ,Holocaust'. Wiesenthal hätte nie ,Die Österreicher' oder ,Die Deutschen' gesagt, es ging ihm um persönliche Verantwortung. Deshalb hat er auch Waldheim nie verfolgt."

"The Legacy of Simon Wiesenthal for Holocaust Studies": 7.-8. Juni, IFK (Reichsratsstraße 17, Wien I). Infos: (01)5041126-28, www.vwi.ac.at. Die Tagung wird live auf der Website übertragen. Heute, Dienstag, 14-17 Uhr: "Tag der offenen Tür", "Simon Wiesenthal Archiv" (Salztorgasse 6/IV/5, Wien I).

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