Frequency, die Zweite: Der Tag der Herren mit Hut

Pub-Varite zwischen den Zeiten: 'The Good, The Bad And The Queen
Pub-Varite zwischen den Zeiten: 'The Good, The Bad And The Queen", wunderbare London-Chronisten, in Salzburg.(c) APA (FRANZ NEUMAYR)
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„Frequency“ am Salzburgring, Tag zwei: „Nine Inch Nails“ trugen hartes Leder, „The Good, The Bad and The Queen“ trugen Hüte. Die „Ärzte“ schwätzten lange.

Die Stiefel knallen, die Schüsse hallen, am Horizont dräut die Apocalypse und Gott, the Capital G, ist kein guter. „We face our consequence this is the beginning of the end“, resümiert Trent Reznor. Selber schuld. Nach der Zeitrechnung von Nine Inch Nails schreiben wir das Jahr 2022, ein fundamentalistisch-religiöses Regime ist an der Macht. Was jetzt noch helfen kann? Harte Guerilla-Gitarren, kampfbereite Industrial-Bässe und ein subversiver Laptop – die allesamt mächtig mit der Militärästhetik flirten, gegen die sie anlärmen.

Was war im Wiener Schnitzel?

Aber wenn es sexy ist, trägt halt auch der Widerstand schwarzes Leder. Zumindest atmosphärisch prägt das neue Album „Year Zero“ das Konzert beim „Frequency“-Festival. Und die Rolle des dunkel schimmernden Captain Future, der zur Weltrettung zornig über die Bühne fegt, steht Reznor gut. Und wird nur kurz matt, als er gelangweilte Gesichter in der ersten Reihe entdeckt. Was da los sei, will er – plötzlich grumpy old man – wissen. Ob er zwischen zwei deutsche Bands gebucht worden sei, fragte er (die Ärzte! – der arme Mann weiß nicht, wie recht er hat), oder was? „Maybe someone put something in your Wiener Schnitzel?“

Ja, Humor war Reznors Stärke nie. Die liegt anderswo, wie die subtile Neuinterpretation von „Something I can never have“ oder dem pumpenden Darkroom-Pop „Closer“ zeigt. Mit 40 Jahren halbwegs würdevoll die teenage angst besingen, eher reduziert als dramatisch, eher kühl als schwül – Chapeau!

Insofern schade, dass das Joy-Division-Cover „Dead Souls“ ausfallen muss, aber drüben auf der Nebenbühne wartet Besseres. Zunächst Joy-Division-Sänger Ian Curtis selbst. Beinahe. Zumindest Daniel Kessler, Sänger von Interpol. Die Ostküsten-Band mit den scharf geschnittenen Anzügen, die die britische Post-Punk-New-Wave reitet und so gut arrogant dreinschauen kann, ist eine von drei schönen Österreich-Premieren, wenn auch nicht die beste an diesem Abend. Denn die drängende Frage „Können Lieder, die einem so oft mitten ins Herz gegriffen haben, auch auf der Bühne bestehen?“, wird mit Jein beantwortet. Dynamische Melodien wie „Slow Hands“ oder „Evil“ gewinnen zwar, aber die zarteren verlieren etwas von ihrem rätselhaft-distanzierten Charme, wenn das ganz helle Licht aufgedreht wird. „Rest My Chemistry“ scheppert, „PDA“ gerät ein wenig schrill, und „NYC“, der nostalgische Höhepunkt vom anrührenden Debüt „Turn On The Bright Lights“ (2002) holpert und stolpert hörbar. Nun ja. Wissen wir das auch.

Viel frischer tönt es sowieso aus einem anderen New Yorker Stadtteil. !!! (gesprochen: Chk Chk Chk) kommen aus der Ecke, wo die engen Hosen, die knappen Blousons und der enthemmte Ausdruckstanz zu Hause sind. Ein schönes Plätzchen namens Disco Punk. Rockiger instrumentiert als auf dem Album schafft es die (derzeit) siebenköpfige Truppe ihre hysterisch perkussiven Funk-Sessions bühnentauglich zu fokussieren und, bei Bedarf, wieder lustvoll auszudehnen. Dass das nie langweilig wird, liegt am infizierenden Groove („All My Heros Are Weirdos“, „Must Be The Moon“) und am Körpereinsatz von Frontman Nic Offer. Was, um Gottes Willen, tanzt der Mann da auf den Lautsprecher-Boxen? Macarena? Egal, so erwachsen-ausgelassen war man schon lange nicht. Disco als ebenbürtiges Festival-Highlight, wer hätte das gedacht?

London Calling

Und wer hätte gedacht, dass man für eine volle Stunde die werbebunte Event-Realität ausblenden kann, Regen inklusive. Wobei die Nässe an sich gut zu den künstlichen Nebeln passt, die sich jetzt über ein skizziertes London legen. „Come the day/you see the sun/ hit the arch/ a history song“, lockt Damon Albarn, Ex-Blur-Sänger und Mann mit dem Zirkusdirektor-Hut. Nur herein spaziert zu unserem Pub-Varieté zwischen den Zeiten! Gegeben wird Englishness with a twist: The Good, The Bad and The Queen, Lieder einer Band, die keinen Namen braucht, weil die der Beteiligten für sich sprechen. Und weil man sie sich so oder so merkt, die schlingernden Melodien, die – den Kanälen, Ebben und Fluten, die besungen werden, gleich – durch die Gehörgänge mäandern: „80s Life“, „Northern Whale“, „Herculean“, „Kingdom of Doom“. Blur-Harmonien tanzen mit Reggae-Bass-, Calypso-, Funk- und Jazz-Rhythmen, nicht immer gleichzeitig, aber so ist das Leben auf dem stroppy little island of mixed up people. Auf und ab, wie die See.

Charles Dickens und die Apokalypse

Das sah auch schon ein anderer Stadt-Chronist, Charles Dickens, an den hier auch optisch angeknüpft wird, so. Dank geschickter Beleuchtung bewegt sich die Band als Scherenschnitt über die Bühne, vor allem aber einer: Paul Simonon, ehemals Bassist bei The Clash, ebenfalls mit Hut, posiert in bester Punk-Manier.

Ach ja, und noch einer hat sich viel bewegt: Rapper Eslam Jawaad beweist zum Schluss, dass dieses Quartett mit jeder Stilrichtung kann. Irgendwie fließt ja immer alles zusammen. Und irgendwie kann man auch jene nicht auslassen, die Herrn Reznor heute geärgert haben: 25 Jahre nach ihrem ersten Auftritt machen DieÄrzte noch immer demokratischen Punk-Rock, immer einen Halbsatz von textlicher Genialität und oft nur eine Intonation vom Pennäler-Humor entfernt.

Bis drei Uhr morgens schwätzten sie diesmal, ein wahres „Bäst of“. Aber die (so die Eigendefinition) beste Band der Welt sind sie halt nicht. Auch nicht in aller Bescheidenheit. Denn dieser Titel gehört auf die Nebenbühne und dort den Männern mit Hut. Charles Dickens ist heute unser Held.

NOCH EIN FESTIVAL: In Wiesen

Two Day's A Week heißt das letzte große Popfestival der Saison, zugleich das am schönsten Ort: auf dem Festivalgelände von Wiesen, Burgenland, am 29. und 30.August. Headliner sind Dinosaur Jr. und Ash (am Mittwoch) sowie Turbonegro und die (International) Noise Conspiracy (am Donnerstag). Info: www.wiesen.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2007)

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