Die PKK will Krieg – sie soll ihn nicht haben

Die Türkei hat das Recht, gegen Terroristen vorzugehen. Doch ein Einmarsch im Nordirak wäre kontraproduktiv.

Wenn jemand Krieg will, dann ist es die PKK. Das ist spätestens klar, seit die kurdische Untergrundorganisation vor einer Woche mitten im Trommelwirbel des türkischen Aufmarsches einen Angriff auf die gegnerische Armee wagte und acht Soldaten entführte.

Ziel der PKK ist es, die türkische Armee in den Nordirak zu locken. Dahinter steckt kein Masochismus, sondern Kalkül. Von einer Eskalation erhoffen sich die bis zu 5000 PKK-Kämpfer, die sich in Nordiraks Kandil-Bergen verschanzen, zweierlei: eine kurdische Solidarisierungswelle und eine Internationalisierung des Konflikts.

Ersteres Motiv entspringt der Organisationslogik einer sektiererischen Gruppe, die zunehmend an den Rand gedrängt wird. Die PKK braucht neue Rekruten, vor allem neue Glaubwürdigkeit. Zaghaft, aber doch haben die in Ankara regierenden Islamodemokraten – auf Druck der EU – in den vergangenen Jahren begonnen, den Kurden Zugeständnisse zu machen. Teile der kurdischen Bevölkerung haben sich zuletzt sogar mit Wählerstimmen bei der Partei von Premier Erdogan erkenntlich gezeigt. Damit kein Missverständnis entsteht: Die Minderheitenrechte, die den Kurden in der Türkei zuerkannt werden, entsprechen noch immer nicht europäischen Standards. Doch es ist zumindest etwas in Bewegung geraten. Das missfällt den militanten Hardlinern der PKK. Denn es stellt ihre Existenzberechtigung in Frage.

Insofern verfolgt die PKK nun eine Überlebensstrategie, wenn sie die übermächtige türkische Armee zum Kampf herausfordert. Und je härter das Militär zurückschlägt, desto mehr Sympathien könnten die Rebellen lukrieren. Eine altbewährte Guerillataktik, die zuletzt die islamistischen Hisbollah-Milizen im Libanonkrieg gegen Israel erfolgreich angewendet haben.

Und doch muss man sich angesichts der bizarr-marxistischen Führerkult-Ideologie der PKK fragen, warum es ihr immer wieder gelingt, die Kurden in Geiselhaft zu nehmen und/oder mundtot zu machen. Warum sprechen sich nicht mehr Kurden offen gegen die PKK aus? Haben sie Angst? Oder liegt es vor allem daran, dass die Türkei keine zivilen kurdischen Parteistrukturen abseits der PKK zugelassen hat?

Wie auch immer, die PKK strebt in der aktuellen Nordirak-Krise auch noch einen zweiten Effekt an: Die Türkei soll sich mit einem massiven Einmarsch in den Irak international ins Out manövrieren. Ein Krieg im halbwegs stabilen Nordirak ist so ungefähr das Letzte, was die Welt zur Zeit brauchen kann. Auch für erklärte Gegner der USA, für den Iran oder für Syrien, wäre das kein Grund für hämische Freude. Sie haben ihre eigenen handfesten Probleme mit kurdischen Minderheiten und keinen Bedarf an zusätzlichen Kurdenzores.

Ebenso wenig im Interesse der Türkei, Syriens und des Irans wäre es jedoch, wenn sich der Nordirak von Bagdad abspaltet und zur Keimzelle eines kurdischen Staates wird. Deshalb vermuten manche nun, dass die türkische Führung mehr im Schilde führen könnte: nämlich nicht nur der PKK, sondern gleich auch den kurdischen Träumen im Nordirak den Garaus zu machen. Das aber würde das Chaos in der Region erst recht perfekt machen.


Der türkische Premier Erdogan selbst hat zugestanden, dass der PKK nicht allein mit militärischen Mitteln beizukommen ist. Das ist eine zwingende Lehre aus den mehr als 20 erfolglosen Vorstößen, die die türkische Armee in den vergangenen Jahren auf irakisches Territorium unternommen hat. Aber müssen deshalb die Türken im Umkehrschluss ihre Hände in den Schoß legen, wenn PKK-Angehörige vom Nordirak aus regelmäßig Angriffe und Anschläge in der Türkei verüben? Derlei untätige Nächstenliebe wäre etwas viel verlangt. Wenn die türkische Armee nun PKK-Kämpfer im Nordirak nicht unverschont lässt, so ist das ein durchaus legitimer Akt der Selbstverteidigung. Es ist auch gerechtfertigt, Druck auf die Regierung im Nordirak auszuüben, damit sie der PKK keinen Schutz mehr gewährt.

Und doch muss sich die Türkei gründlich überlegen, wie sie ihre Gegenwehr dosiert. Denn sonst spielt sie letztlich nur der PKK in die Hände und bringt sich selbst in eine Außenseiterposition.

Dabei kann man den Türken nicht verübeln, wenn sie über mangelndes Verständnis ihrer Verbündeten klagen. Sowohl die USA als auch die EU haben die PKK völlig zurecht auf ihre Terror-Listen gesetzt. Doch von Kritik an den Extremisten oder gar von einem Vorgehen gegen deren Unterstützernetz in Europa ist wenig zu hören. Es ist Zeit, die Türkei gegen die PKK zu unterstützen, nicht bloß zu mahnen.

Die Nordirak-Krise Seiten 1 und 2


christian.ultsch@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2007)

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