Achtung, jüdische HIV-Melonen!

Warum der Islam seine Anhänger besonders anfällig für absurde Theorien aller Art macht – zu unser aller Schaden.

In Saudi-Arabien entstand unlängst eine mittlere Massenhysterie, als sich via SMS quer durchs Land die Nachricht verbreitet, aus Israel seien absichtlich mit dem HIV-Virus verseuchte Melonen ins Land gebracht worden. Und zwar, wie die Ketten-SMS anmerkten, „auf Lastwagen in unterirdischen Tunneln“. In Pakistan legten zur gleichen Zeit zehntausende verstörte Anrufer die Telefonzentrale des Mobilfunk-Anbieters „Walid Mobile“ lahm. Beim Freitagsgebet hatten ihnen nämlich die Imame erklärt, dass über die Handys ein tödliches Virus verbreitet werde, an dem bereits 20 Menschen gestorben seien, was eine Manifestation des Zorns Gottes darstelle.

Derartige Episoden, die für westliche Menschen eher amüsant erscheinen, tauchen in der islamischen Welt ununterbrochen auf; gelegentlich mit wesentlich schlimmeren Folgen. In der (muslimischen) nigerianischen Provinz Kano etwa grassiert jetzt eine Polio-Seuche unter Kindern, weil dort 2003 ein Gerücht kursierte und von den Eltern geglaubt wurde, der Polio-Impfstoff sei von US-Agenten vergiftet worden.

Dass derartig absurde Vorstellungen regelmäßig in der islamischen Welt auftauchen – und sich dann vor allem lange Zeit als scheinbares Faktum am Leben erhalten – ist erstens kein Zufall und zweitens einer der wesentlichen Gründe für die Hasswellen, die uns von dort entgegenlodern. Dass der Westen im Orient so dermaßen verhasst ist, liegt weniger an sozialer Rückständigkeit denn an einer vollkommen verzerrten Wahrnehmung des Westens, wie sie nicht zuletzt aus derartigen Gerüchten entsteht. Jener Hass wird regelmäßig von solchen Scheininformationen angefacht, die zwar faktenfrei sind, aber die „arabische Straße“ in Aufruhr versetzen; von angeblichen Mohammed verhöhnenden Cartoons (die zum Teil nie erschienen waren) bis hin zu den bizarren Weltverschwörungstheorien, in denen sich Juden und Christen verbünden, um den Islam zu unterjochen.

Dass derartiger Info-Müll in islamischen Staaten eher und länger geglaubt wird als etwa in Ostasien oder Südamerika hat einen simplen Grund: das niedrige durchschnittliche Bildungsniveau in nahezu allen islamischen Ländern. Das – und der repressive Charakter der meisten dortigen Regimes – führt natürlich dazu, dass seriöse Information aus Medien und Büchern so selten ist wie ein Hochstrahlbrunnen in der Wüste.

Dass auf diesem intellektuell staubtrockenen Terrain auch das absurdeste Gerücht (wie etwa jenes von den jüdischen HIV-Melonen aus den Tunneln unter der Saudi-Wüste) Wurzeln schlagen kann, ist ebenso logische wie bedrückende Folge. Daran wird sich bedauerlicherweise auch nichts ändern, solange in den meisten islamischen Ländern aufgrund der religiösen Vorschriften der Lektüre des Koran wesentlich höhere Priorität eingeräumt wird als etwa dem Studium westlicher Wissenschaftstexte – oder auch nur hochwertiger, über den wahren Zustand ihrer Länder Auskunft gebender seriöser Medien. Solange sich das aber nicht ändert, hat auch der Westen ein massives Problem mit Millionen Menschen, die allen Ernstes glauben, sie würden von virenverseuchten Südfrüchten attackiert – und darauf dementsprechend reagieren.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.


christian-ortner@chello.at("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.