Kampf um Geheimakte Kampusch

Natascha Kampusch
Natascha Kampusch(c) APA (FRANZ GLEISS)
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Der Entführungsfall "Natascha Kampusch" wird möglicherweise nie restlos geklärt; die Frage nach Hintermännern könnte für immer offen bleiben. "Aus Gründen des Opferschutzes" bekommt die Polizei das Protokoll nicht.

Der Entführungsfall „Natascha Kampusch“ wird möglicherweise nie restlos geklärt; die zentrale Frage nach etwaigen Hintermännern könnte für immer offen bleiben.

Dreh- und Angelpunkt der Ende 2008 wieder aufgenommenen Ermittlungen ist das Original-Einvernahmeprotokoll des Entführungsopfers. Dieses streng geheime Schriftstück bekommen nicht einmal die Beamten der Kampusch-Sonderkommission in die Hand. Es bleibt im Tresor der Staatsanwaltschaft Wien. „Aus Gründen des Opferschutzes“, wie es offiziell heißt.

Nicht nur die Polizei – auch die sechsköpfige Kampusch-Evaluierungskommission (Leitung: Ex-Verfassungsgerichtshofpräsident Ludwig Adamovich) macht Druck. „Mit dem Hinweis auf die in umfassendem Aufklärungsinteresse unabdingbare Notwendigkeit einer abschließenden Kontextbeurteilung sollte seitens der operativen Verantwortung des Bundeskriminalamtes auf eine Einsichtnahme in diese Unterlagen bestanden werden.“ So heißt es auf Seite fünf des jüngst vorgelegten elfseitigen Berichts der Kommission. Dort ist auch von „nach wie vor offenen personenbezogenen Verdachtsmomenten“ die Rede. Noch immer ausstehende „wesentliche Befragungen“ würden ergiebiger ausfallen, wenn die „Möglichkeiten beweismäßig fundierter Vorhalte“ gut aufbereitet werden – soll heißen: Wenn die Beamten die Opferaussagen gut einstudieren und in Zusammenhang mit bisherigen Erkenntnissen bringen, würden die weiteren Einvernahmen von Zeugen oder Verdächtigen eher Früchte tragen.

Um den Druck auf die Staatsanwaltschaft zu erhöhen, stellte die Soko nun ein offizielles Ansuchen auf Einsichtnahme in die Protokolle. Ein wiederholtes „Nein“ zum Wunsch der Ermittler könnte diese in eine Position versetzen, die niemand haben will: Die Soko (operative Leitung: Oberst Franz Kröll) könnte sich zurücklehnen und sagen: Wir wollen ja ermitteln, aber man lässt uns nicht.

Derzeit wird daher seitens der Anklage überlegt, einen hochrangigen Behördenvertreter als Vermittler einzuschalten, der das Protokoll lesen darf und sich mit der Polizei abspricht. Offiziell wird das nicht bestätigt. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Gerhard Jarosch, weist nur daraufhin, dass seine Behörde „nicht vorhabe“, die heiklen Papiere aus der Hand zu geben.

Warum ist man so „stur“? Zur Erinnerung: Die heute 21-Jährige war achteinhalb Jahre in einem Verlies gefangen, ehe ihr am 23.August 2006 die Flucht gelang; ihr Entführer Wolfgang Priklopil warf sich vor einen Zug. Also warum der strikte Aktenverschluss? Weil man fürchtet, dass die Unterlagen, sobald sie zur Polizei wandern, sehr rasch ihren Weg „in eine Illustrierte“ finden, wie ein Staatsanwalt, der nicht genannt werden will, erklärt. Fazit: Zumindest in Sachen Opferschutz misstraut die Anklagebehörde den von ihr beauftragten Ermittlern.

Rechtlich gedeckt ist der (bisherige) Geheimhaltungskurs der Anklage sehr wohl. In der Strafprozessordnung heißt es, dass Akteneinsicht dann nicht gewährt werden muss, wenn dem „überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen“.

Wer durfte die Niederschrift bisher lesen? Außer Kampusch selbst mindestens drei Personen: der nach der Flucht von Kampusch zuständige U-Richter, der Staatsanwalt und auch ein Polizeivertreter, nämlich der seinerzeitige Chefermittler. Gretchenfrage: Was steht drinnen? „Jedenfalls nichts in Richtung Mittäter“, wird beteuert. Aber wie die Adamovich-Kommission schon vornehm formulierte: Es geht darum, „ein möglichst umfassendes Mosaik aus Beweissplittern zu komplettieren“.

Auf einen Blick

Machtkampf. Die Soko des Bundeskriminalamts, die nach etwaigen Hintermännern oder Mittätern im Entführungsfall „Natascha Kampusch“ forschen soll, bekommt noch immer keinen Einblick in das beim Staatsanwalt liegende Einvernahmeprotokoll von Natascha Kampusch. Dies wird mit „Opferschutz“ begründet. Nun soll ein hoher Anklagevertreter als Vermittler eingeschaltet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2009)

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