Moskau will den Nordpol haben

(c) AP (Jonathan Hayward)
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Eine Expedition soll russische Ansprüche auf arktische Bodenschätze untermauern.

Moskau. Der feierliche Akt soll in 4000 Metern Tiefe erfolgen. Direkt unter dem Nordpol wird das Mini-U-Boot mit dem friedlichen Namen „Mir“ („Friede“), das auch schon für spektakuläre Unterwasseraufnahmen beim Hollywoodfilm „Titanic“ sorgte, die russische Flagge hissen. Die Trikolore ist aus Titan gefertigt, zehn Kilo schwer und einen Meter hoch. Sie soll dem enormen Druck in der Tiefe standhalten und steht damit für russische Unbeugsamkeit und das Heldentum, das in Russland seit Sowjet-Zeiten vermisst wird.

Russland ist in diesem Sommer im Nordpol-Fieber. Eine 140-köpfige Delegation aus Wissenschaftlern und patriotisch gestimmten Duma-Abgeordneten machte sich von Murmansk aus auf den Weg gen Norden. Damit ihr Forschungsschiff „Akademik Fjodorow“ freie Fahrt hat, stampft der Atom-Eisbrecher „Rossija“ vorneweg. In den kommenden Wochen sollen die beiden Schiffe 3600 Kilometer zurücklegen, davon 800 Kilometer durch Packeis. Höhepunkt soll das Befestigen der Flagge in den Tiefen der Arktis sein.

Mit der Polarexpedition will Russland seinen territorialen Anspruch auf 1,2 Millionen Quadratkilometer Arktis untermauern – und sich nebenbei den Nordpol einverleiben. So glauben russische Wissenschaftler beweisen zu können, dass der sogenannte Lomonossow-Rücken, ein Gebirgszug unter Wasser, das russische Festland mit dem Nordpol verbindet. Folglich gehöre auch der Pol zu Russland.

Niemandsland Nordpol

Das sehen natürlich die übrigen vier Staaten am Polarkreis – die USA, Kanada, Dänemark und Norwegen – anders. So liegen Grönland und Kanadas Ellesmere-Insel näher am Pol, selbst die Norweger können mit ihren Svalbard-Inseln punkten. Und Dänemark hält den Lomonossow-Rücken für eine Verlängerung Grönlands. De facto ist der Pol aber Niemandsland.

Die Rechnung ist einfach: Die Polkappen schmelzen, also werden auch die darunter liegenden Bodenschätze in den kommenden Jahrzehnten leichter zugänglich. Die Arktis gilt als überreich an Öl, Gas, Gold und Diamanten. Außerdem verspricht das Verschwinden des Eises, das Klimaforscher beunruhigt, für die Zukunft neue eisfreie Schiffsrouten für Tanker.

Was mit den Bodenschätzen der Arktis tun? Russland teilt bereits das Fell des Bären auf, bevor der erlegt ist: „Für künftige Generationen aufheben“ – das meinten 27 Prozent der Russen in einer Umfrage der Zeitung „Iswestija“. „Gemeinsam mit Ausländern zu für uns vorteilhaften Bedingungen abbauen“ – das meinten 16 Prozent.

Sollten die Russen tatsächlich ihre Titan-Flagge am Meeresgrund hissen, hätten jedenfalls die Polarreisen, die derzeit Fallschirmsprünge und Eisbärenbeobachtung auf dem Programm haben, ein weiteres Highlight. Touristen könnten dann zuerst im russischen Atom-Eisbrecher zum Nordpol fahren und später im Tauchboot zur Flagge in eisige Tiefe vorstoßen.

KEIN EXKLUSIV-RECHT

Die Arktis kontrollieren Russland, USA, Dänemark, Norwegen und Kanada. Gemäß UN-Konvention überwacht jedes Land eine Zone jenseits ihrer Nordgrenze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2007)

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