Der Rückzug des „Moses“ Müntefering

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Deutschland. SPD-Chef Kurt Beck behält im Machtkampf gegen Vizekanzler Müntefering die Oberhand: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes soll wieder verlängert werden.

BERLIN. Und er bewegt sich doch, wenngleich nur um ein paar Zentimeter. Zwei Wochen lang hatte Vizekanzler Franz Müntefering im SPD-internen Machtkampf um die Reformagenda 2010 als deren letzter Verfechter den quasi Lutherischen Standpunkt eisern vertreten: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Einen Tag, nachdem er sich als ebenso harter wie fairer Verlierer gegeben hatte, gestand er dem Linksruck von SPD-Chef Kurt Beck immerhin eine gewisse Plausibilität zu. Wirtschaftsverbände warnen dagegen vor einer „Rolle rückwärts“.

Becks Vorstoß, das Arbeitslosengeld für Über-50-Jährige auf zwei Jahre zu verlängern, hatte die Partei polarisiert und einen symbolischen Streit entfacht, der seit der Spätphase der Ära Schröder schwelt. Im Kern ging es um die ungeliebte Agenda 2010 und dessen Herzstück Hartz IV, die die rot-grüne Regierung 2003 gegen die Einwände großer Teile der SPD-Fraktion beschlossen hatte. Der einstige Traditionssozialist Müntefering hat die Arbeitsmarktreform als getreuer Knappe Gerhard Schröders in jeder Etappe stets glühend verteidigt: zunächst als Fraktionsführer, später als SPD-Chef und jetzt in seiner Eigenschaft als Arbeits- und Sozialminister, der die Erfolge der umstrittenen Reform gefährdet sieht.

„Der Kurt ist eher fürs Fördern“

Die Arbeitslosigkeit ist vor allem auch dank der guten Konjunktur von mehr als fünf auf knapp 3,5 Millionen Menschen gesunken; ältere Arbeitslose haben wieder einen Einstieg ins Berufsleben geschafft. Firmen schieben sie nicht mehr so leicht in die Frührente wie vor der Reform, als der Staat mit einem Arbeitslosengeld von bis zu drei Jahren die Entlassungswellen von älteren Arbeitnehmern gleichsam finanzierte.

Auf seinen Touren durchs Land ist Beck die soziale Ungerechtigkeit der Regelung indessen sauer aufgestoßen. Wie schon der im Vorjahr dafür von der SPD verteufelte Arbeitnehmerflügel der CDU erhob er die Forderung: Wer länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe, soll diese auch länger beziehen – allerdings nicht auf Kosten der Jüngeren (wie bei der Union).

Als er dann noch einen Vorschlag der Gewerkschaften aufgriff, jubelten die frustrierten Genossen ihrem bisher recht blassen Parteichef zu. Während andere Exponenten des Reformlagers wie Finanzminister Steinbrück oder Außenminister Steinmeier in Deckung gingen, blieb Müntefering als einziger standhaft.

Der knorrige Vizekanzler fasste dies als Schwenk der SPD-Politik auf und frotzelte, bald würden die Genossen mit der Linkspartei alte Lieder singen. Um eine Eskalation des Machtkampfs auf dem Programmparteitag in Hamburg in einer Woche abzuwenden, rangen beide Seiten um einen Kompromiss. „Der Kurt ist eher für Fördern, ich bin eher für Fordern. Jetzt wollen wir mal sehen, wie wir das mit dem Pünktchen auf dem o hinkriegen“, witzelte Müntefering, der mit Beck nicht im besten Einvernehmen steht.

In der SPD kursierte das Szenario, „Münte“ könnte so wie vor zwei Jahren alles hinschmeißen, als er wegen einer Personalentscheidung über Nacht als SPD-Chef zurücktrat – und die Partei in eine Krise stürzte, von der sie sich seither nicht erholt hat.

Auch Schröder fiel um

Also ratterten Faxe hin und her zwischen Becks andalusischem Urlaubsdomizil und dem Müntefering-Büro. Ein Arbeitsfrühstück nach der Rückkehr Becks in Mainz blieb ohne Einigung. Nun zeichnet sich sogar ein Kompromiss mit Kanzlerin Merkel ab, der Müntefering bisher treu gedient hatte.

Zuletzt hatte auch noch der geschmeidige Ex-Kanzler Gerhard Schröder seinen Mitstreiter im Stich gelassen: Die Reformen der Agenda 2010 seien nicht in Stein gemeißelt wie die Zehn Gebote, niemand solle sich als Moses aufführen. Worauf Müntefering selbstironisch konterte, Moses habe sein Volk ins gelobte Land geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2007)

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