Pakistans Massendeportation nach Afghanistan

Sharbat Gula heute: Die Frau wurde wegen falscher Papiere festgenommen.
Sharbat Gula heute: Die Frau wurde wegen falscher Papiere festgenommen.(c) REUTERS
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Die Regierung will fast eine Million afghanische Flüchtlinge zurück über die Grenze schieben.

Islamabad/Wien. Sharbat Gula hat dem Grauen des Sowjetkrieges in Afghanistan ein Gesicht gegeben: Der Schrecken im Blick des jungen Mädchens mit den leuchtenden grünen Augen ist heute noch ein Emblem des Leidens afghanischer Kriegsflüchtlinge. Das Magazin „National Geographic“ hatte Gula berühmt gemacht, als es ihr Foto im Juni 1985 auf die Titelseite stellte. Abgelichtet wurde die Zwölfjährige in einem Flüchtlingslager in Pakistan. Sie war über die Berge nach Pakistan geflohen, nachdem ihre Eltern im Krieg getötet worden waren.

Während „the Afghan Girl“ (so der Name des Fotos von Steve McCurry) auch über die Jahrzehnte hinweg unvergessen blieb, verlor man von Sharbat Gula weitgehend die Spur. Doch vor wenigen Wochen kursierte ihr Foto erneut in Medien aller Welt: Die inzwischen stark vom Leben gezeichnete Frau wurde in Pakistan festgenommen, sie hatte gefälschte Identitätsdokumente bei sich. Gula wurde mit ihren vier Kindern nach Afghanistan zurückgeschickt, in ein Land, das ihr fremd geworden ist.

Deadline ist abgelaufen

Dieses Foto von Steve Mc Curry machte Sharbat Gula berühmt
Dieses Foto von Steve Mc Curry machte Sharbat Gula berühmt(c) imago/Italy Photo Press (imago stock&people)

Die Afghanin ist somit zum zweiten Mal in ihrem Leben ungewollt zur Ikone afghanischer Flüchtlinge geworden: Sie teilt das Schicksal von mehr als einer Million Afghanen in Pakistan, die plötzlich wie Gula gezwungen sind, in ihre von Armut und Bürgerkrieg heimgesuchte Heimat zurückzukehren. Denn Islamabad hat im Sommer eine radikale Kehrtwende in der bisherigen Toleranzpolitik gegenüber Flüchtlingen aus dem Nachbarland beschlossen. Bis gestern, Dienstag, hatten all jene Afghanen, die sich ohne Papiere im Nachbarland aufhalten, Zeit, sich registrieren zu lassen oder freiwillig das Land zu verlassen. Wer nun ohne Papiere erwischt wird, dem drohen Verhaftung, Verfolgung und Zwangsdeportation. Laut UN-Schätzungen sind davon mehr als 700.000 Menschen betroffen, viele von ihnen seit Generationen in Pakistan ansässig. Aufgrund der chaotischen Lage in Afghanistan ist es für die meisten dieser Flüchtlinge unmöglich, an Identitätspapiere zu kommen. Zudem fordert Islamabad, dass bis März 2017 auch alle registrierten afghanischen Flüchtlinge das Land verlassen. Insgesamt sind nahezu eineinhalb Millionen Afghanen betroffen. Viele der ausgewiesenen Flüchtlinge haben keine Ahnung, wo sie sich jetzt niederlassen sollen. Einige haben noch nie in Afghanistan gelebt, andere sind seit Jahrzehnten nicht dort gewesen: „Die meisten sagen uns, sie können nicht in ihre Dörfer zurück, weil dort gekämpft wird. Fast alle sagen, dass sie nicht wissen, wo sie nun leben, arbeiten, ihre Kinder in die Schule schicken sollen“, sagt Gerry Simpson von Human Rights Watch.

Rache für Indien-Kuschelkurs

Einige Experten sehen hinter dem harten Kurs einen politischen Racheakt. Offenbar will Islamabad Afghanistans Präsidenten, Ashraf Ghani, für seinen neuen Kuschelkurs mit Pakistans Erzfeind Indien bestrafen. Erst im September kam Ghani von einer Indien-Reise mit einem milliardenschweren Hilfspaket zurück – zu einem Zeitpunkt, als die indisch-pakistanischen Beziehungen wegen des Kaschmir-Konflikts einen neuen Tiefpunkt erreicht hatten. Afghanische Flüchtlinge in Pakistan bekommen die Spannungen jedenfalls zu spüren: Die „Kabulis“, wie sie bisher genannt wurden, würden nun zunehmend „Hindus“ gerufen – obwohl sie Moslems seien, berichtet ein Reporter von „Newsweek“.

AUF EINEN BLICK

„Afghan Girl“: Das Foto von Sharbat Gulawurde 1985 zum Symbol für das Leid afghanischer Flüchtlinge.
[ „National Geographic“ ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2016)

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