„Ein Marathon ist nicht gesund“

Rennärztin und Rekordläuferin Dagmar Rabensteiner über den Wien-Marathon am Sonntag.

Die Presse: Warum laufen Menschen an einem Sonntag 42,195 km durch eine Großstadt in praller Sonne, und das möglichst schnell?

Dagmar Rabensteiner: Warum Menschen laufen ist einfach: Um schlank zu werden oder schlank zu bleiben, um das Altern aufzuhalten. In unserer Gesellschaft sind Gesundheit, Schönheit, Fitness wichtige Aspekte.

Das erklärt aber keine Marathondistanz.

Rabensteiner: Wenn Menschen laufen, setzen sie sich Ziele. Diese Ziele liefern Motivation.

42 Kilometer sind ein hoch gestecktes Ziel.

Rabensteiner: So ist es. Marathon ist eben ein Mythos. Marathon bedeutet körperliche und mentale Stärke und Leistungsfähigkeit. Außerdem suchen viele Menschen Herausforderungen. Wenn sie es dann geschafft haben, ernten sie Anerkennung.

Wer untrainiert losläuft, gefährdet seine Gesundheit, kommt nicht über die Distanz. Schätzen sich die Teilnehmer richtig ein?

Rabensteiner: In den vergangenen zehn Jahren ist Marathon eine Massenbewegung geworden. Damit hat auch die Zahl derer zugenommen, die von ihrer Leistungsfähigkeit oder Belastbarkeit her nicht an den Start passen. Andererseits hat das Bewusstsein zugenommen, sich einmal von einem Sportarzt durchchecken zu lassen.

Also was jetzt? Sind die Leute eher leichtfertig oder eher diszipliniert?

Rabensteiner: Beides. Die Zahl der Disziplinierten nimmt zu. Aber es gibt natürlich auch viele, die wahnwitzig am Start stehen.

Was charakterisiert den Wien-Marathon?

Rabensteiner: Der Wien-Marathon ist in Österreich der einzige, der von der Größe her mit internationalen Marathons konkurrieren kann. Er bringt die Kulisse der Hauptstadt. Und er hat Event-Charakter.

Wie entwickelt sich der Laufsport? Zeichnen sich Trends ab?

Rabensteiner: Laufen als Anti-Aging – das ist ein Trend, den ich sehr stark bemerke. Ältere Leute wollen den körperlichen Alterungsprozess durch das Laufen verzögern.

Laufen als Jungbrunnen?

Rabensteiner: Ja. Man will sich Genussfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten. Viele fangen erst in der Pension zu trainieren an. Der Alterungsprozess bringt Abnahme der Energieversorgung der Zellen, Abbau von Muskelmasse, Zunahme von Fettgewebe. Da kann man mit Lauftraining gegensteuern.

Müssen Sie als Ärztin nicht zugestehen, dass ein Marathon – auch für Trainierte – nicht gesund ist?

Rabensteiner: Ja, absolut. Das ist Tatsache und ich glaube, es wäre als Ärztin auch nicht korrekt, wenn ich sagen würde: „Lauft's nur, Marathon ist gesund!“. Ein Marathon ist nicht gesund. Ein Marathon kann einem gesunden Körper, der gut vorbereitet ist, aber auch nichts anhaben. Gesund ist das Training für den Marathon. Aber da das Ziel „Marathon“ schon in der Vorbereitung viele Kräfte mobilisiert, gilt es für den Sportarzt, dieses Ziel zu unterstützen und den Marathon absolut zu empfehlen.

Aber Laufen ist doch fad . . .

Rabensteiner (lacht): Stimmt. Nur für die, die Laufen entdeckt haben, ist es äußerst spannend. Du setzt beim Laufen viel Kreativität und Klarheit in den Gedanken frei. Geringe Dosen Alkohol machen dich zu geistigen Leistungen fähig, zu denen du nicht im Stande wärst, wenn du keinen Alkohol konsumieren würdest. Beim Laufen ist es ähnlich. Du dringst in Sphären von Klarheit und Bewusstsein ein, die dir sonst versperrt wären. Durch schnelles Laufen kannst du Aggressionen los werden, du kannst negative Alltags-Aspekte einfach weglaufen.

Wann löst eine neue Herausforderung die Herausforderung Laufen ab?

Rabensteiner: Ich bin überzeugt, dass es anhält. Wenn es um Verbesserung von Leistungsfähigkeit und Gesundheit geht, sind es die rhythmisch-dynamischen Sportarten, die mehr als ein Sechstel der Muskelgruppen umfassen und sich daher halten: Radfahren, Nordic-Walken und Laufen.

Inline Flex[Faktbox] ZUR PERSON("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2007)

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