Kosmologie: Wie warm ist die dunkle Materie?

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Keiner kennt dunkle Materie, doch die Theorie braucht sie, um die Strukturen des Universums zu erklären. Nun sollen Ur-Sterne ihre Konsistenz erhellen.

In der Geschichte des Universums sehen wir die Schlacht zwischen zwei dunklen Titanen: Zehn Milliarden Jahre lang regierte die dunkle Materie und formte alle Strukturen im Universum, dann, zirka vor fünf Milliarden Jahren, übernahm die dunkle Energie die Herrschaft, beendete die Strukturbildung und ließ das Universum sich beschleunigt ausdehnen."

Diese mythische Formulierung stammt nicht von einem Hofdichter eines physikalischen Instituts, sondern von einem namhaften Kosmologen selbst: von Michael Turner (Chicago). Er hat selbst den Ausdruck "dunkle Energie" geprägt und spricht von den "dunklen Titanen" auch gern als "Yin und Yang des Universums". Wobei wir über das Yang (dunkle Materie) deutlich mehr wissen als über das Yin (über dunkle Energie wissen wir so gut wie gar nichts, außer, dass sie abstoßend wirken und ca. 73 Prozent des Universums ausmachen soll).

Bleiben wir beim Yang, bei der dunklen Materie, die ca. 23 Prozent des Universums stellen soll. (Für die "normale" Materie, aus der alles besteht, was wir sehen können, bleiben schlanke vier Prozent.) Die Kosmologen wissen ziemlich gut, was sie tun soll - im Wesentlichen: die Strukturen erklären, die man ohne sie nicht erklären kann -, aber sie wissen nicht, woraus sie besteht. Die theoretischen Physiker schlagen zwar viele Teilchen vor, die aber alle einen entscheidenden Nachteil haben: Man hat sie noch nie gesehen respektive gemessen.

Mit einer Ausnahme: den Neutrinos, diesen geisterhaften Teilchen, die nur die schwache Wechselwirkung und die Gravitation kennen. Sie haben, glaubt man heute, doch eine, wenn auch sehr geringe Masse, könnten also ins Gewicht fallen.

Neutrinos sind zu heiß

Allerdings sind sie sehr leicht und schnell, man spricht von "heißer dunkler Materie" (HDM). Von dieser sind die Kosmologen wieder abgekommen: Bestünde die dunkle Materie zum Großteil aus Neutrinos, dann hätten sich im Universum zuerst die ganz großen Strukturen gebildet und dann erst, "top-down", allmählich immer kleinere. Doch das war nicht so, sagen die Astronomen - und plädieren für ein "Bottom-up"-Szenario: erst Sterne, dann Galaxien, dann Galaxienhaufen, dann Superhaufen.

Das wäre mit "kalter dunkler Materie" (CDM) möglich, mit Teilchen, die zwar - wie die Neutrinos - nur Gravitation und schwache Kraft spüren, aber deutlich schwerer sind: Man nennt sie "weakly interacting massive particles" ("Wimps"), kennt sie aber nicht. Kandidaten kommen vor allem aus der Riege der Supersymmetrie.
In CDM-Modellen bilden sich erst kugelförmige Aggregate aus CDM, die dann "normale" Materie anziehen, es entstehen riesige Sterne, hundertmal so schwer wie die Sonne, die sich schnell verzehren. (Je größer ein Stern ist, umso kürzer lebt er.) Keiner dieser Ur-Sterne hätte bis heute bestehen können.

"Wimps" sind zu kalt

Abgesehen davon: Einige Konsequenzen der CDM-Theorie (z.B. für die Galaxienbildung) gefallen vielen Astronomen nicht so gut. Darum dürfte ein nun in Science (317, S.1527) publizierter Kompromissvorschlag viel Aufsehen erregen: Die Kosmologen Liang Gao und Tom Theuns haben Computermodelle mit "warmer dunkler Materie" (WDM) durchgerechnet, mit Teilchen also, die nicht so heiß sind wie Neutrinos, aber auch nicht so kalt wie Wimps.

Ergebnis: Mit WDM wäre die "normale" Materie (Wasserstoff, Helium) zuerst in riesigen Filamenten (Fäden) aggregiert, aus denen dann erst - in einem spektakulären Aufleuchten - die Sterne entstanden wären. Und zwar Sterne unterschiedlichster Größe, auch kleine, die bis heute bestehen könnten. Die Existenz solcher Ur-Sterne wäre, meinen Gao und Theuns, also durch Beobachtung prüfbar. Weiters leiten sie aus dem WDM-Modell ab, dass beim Kollaps eines Filaments sehr massive Objekte entstehen: Keime der superschweren Schwarzen Löcher, wie sie heute im Mittelpunkt vieler Galaxien stehen.

Jetzt sind also wieder die Astronomen am Wort. Und die bringen nicht immer, was die Kosmologen erwarten. Soeben berichten Marla Geha und Joshua Simon im Astrophysical Journal (10.11.), dass sie acht kleine Satellitengalaxien der Milchstraße gesichtet haben, was nicht leicht gewesen sei, da diese zu 99 Prozent aus dunkler Materie bestehen (was man aus den Bewegungen der Sterne in ihnen ableiten kann). Genau solche Satellitengalaxien sagt aber das CDM-Modell voraus - und nicht die WDM-Theorie!

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