Psychologie: Die Macht des Hörensagens

Die Presse (Clemens Fabry)
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Reputation ist eine Währung, deren Vermehrung sich (in Geld) auszahlt.

Tue Gutes und rede darüber!" Das ist die grobe Variante des Handelns, das weiß, wie wichtig der Ruf ist, man sieht es jeden Abend in den Klatschspalten des Fernsehens. „Tue Gutes und sorge dafür, dass die anderen darüber reden!" Das ist schon feiner, aber noch weit entfernt von der Meisterschaft. Die spekuliert darauf, dass einzig und alleine der Ruf zählt: „Tue Schlechtes, aber sorge dafür, dass die anderen gut über dich reden!"

Es geht um Reputation, und es geht um die Frage, wie Eigennutz gebremst wird bzw. wie Gesellschaften funktionieren. Im einfachsten Fall wäscht eine Hand die andere: Man erweist jemandem einen Dienst und bekommt im Gegenzug bei Bedarf von derselben Person auch einen, das Verhalten ist „direkt reziprok". Es gibt aber auch „indirekt Reziprokes": Man erweist jemandem einen Dienst, obwohl man weiß, dass er nie gelohnt wird, man gibt einem Bettler oder hilft einem Blinden über die Straße.

Warum tut man etwas, bei dem man nur verliert, Geld, Zeit? Weil man ein guter Mensch ist? Evolutionsbiologie und Ökonomie haben daran schwere Zweifel, für beide ist Handeln einzig und allein vom Eigennutz geleitet, Altruismus gibt es nicht. Nur scheinbaren, in Wahrheit sind wir auf Umwegrentabilität aus: Wir helfen B - der sich nicht revanchieren kann -, aber wir tun es so, dass C dabei zusieht und D davon erzählt. Diese beiden und alle weiteren, die davon erfahren, werden uns die gute Tat lohnen.

So zeigen es spieltheoretische Modelle, sie wurden lange in Computern durchgerechnet, in letzter Zeit werden sie oft wirklich gespielt, mit Menschen aus Fleisch und Blut und mit echtem Geld. Bei einem der Spiele war Dirk Semmann (Mathematik, Uni Wien) dabei, es ging um die Macht des „Hörensagens", und es ging so: Testperson A bekam Geld (20 Euro) und konnte B davon etwas abgeben, nach Belieben. B konnte sich nicht revanchieren, ein Rollentausch fand nicht statt, aber B konnte Informationen über A notieren („toller Typ", „übler Geizkragen" etc.). Die Information ging an C, der hatte in der nächsten Runde die Wahl, ob er A etwas geben sollte und wie viel.

Erwartungsgemäß erhöhten sich die Einnahmen derer, die in den Ruf der Freigiebigkeit gerieten. Und sie erhöhten sich durch den Ruf alleine: In der nächsten Runde konnte C das Verhalten des A gegenüber dem B erst direkt beobachten und dann die Beurteilung des A durch B lesen. Ist sie gut, steigt die Gebefreude, und umgekehrt: Der Augenschein wird vom Hörensagen überboten (Pnas, 15. 11.). In Klatsch und Tratsch hat man also zum einen viel Vertrauen, und zum anderen ist das Gerede „sehr wirksam", erklärt Semmann: „Es manipuliert und kann als Manipulation eingesetzt werden."

Manipulation durch Klatsch und Tratsch

Von wem und zu welchem Zweck? Einerseits kann damit das allgemeine Wohl gefördert werden: Man hat schon Spiele durchgespielt, in denen A Geld nicht an B gibt, sondern an einen Fonds etwa zur Reinhaltung der Luft. Luft ist ein Gemeingut, jeder kann sich an ihr frei bedienen. Spielt man das verdeckt, investiert bald keiner mehr, der Egoismus schlägt durch (man nennt es auch „tragedy of the commons"). Wird aber die Reputation miteingebaut, erhöht sich die Bereitschaft, in Gemeingut zu investieren, etwa zum Klimaschutz (Pnas, 103, S. 3994).

Die Macht des Hörensagens kann aber auch von denen genutzt werden, die sich den guten Ruf nur als Kostüm zulegen: öffentlich Wasser predigen, heimlich Wein trinken. Das ist offenbar die beste Strategie. Warum folgen ihr nicht alle? Das sollen weitere Spielrunden klären.

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