Lehrlingsmangel statt Lehrstellenmangel

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Ausbildung. In Österreich gab es zuletzt in vier Bundesländern bereits eine Lehrlingslücke.

WIEN. Bereits in vier Bundesländern Österreichs gibt es keine „Lehrstellenlücke“, sondern eine „Lehrlingslücke“. „In Tirol, Salzburg, Oberösterreich und Kärnten gibt es mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende“, sagt Staatssekretärin Christine Marek (ÖVP). Österreichweit habe sich die Lehrstellenlücke seit September 2003 halbiert. Damals suchten noch 4611 Jugendliche einen Ausbildungsplatz, im September 2007 waren es 2164. Auch die Zahl der Lehrlinge in Ausbildung nimmt wieder zu: Mit Stand 30. September 2007 befanden sich insgesamt 128.507 Lehrlinge in Ausbildung, im Jahr zuvor waren es 125.612 und zum 30. September 2005 noch 120.577 Lehrlinge.

Tourismus-Branche will „cool“ werden

Wie aus Daten des Arbeitsmarktservice (AMS) hervorgeht, kommen derzeit auf eine offene Lehrstelle statistisch 1,5 Lehrstellensuchende. Am geringsten ist der Andrang im Tourismus, wo auf einen Lehrstellensuchenden derzeit mehr als drei offene Lehrstellen kommen. Schlechter sieht es für angehende Friseure aus, wo sich statistisch gesehen 2,8 Personen um eine offene Lehrstelle raufen müssen, und für künftige Bürokaufleute, von denen es 3,7 Mal so viele gibt wie offene Lehrstellen. Am engsten ist es aber für Techniker in spe: 4,7 Lehrstellensuchende kommen auf eine offene Lehrstelle.

An Ideen, wie man mehr Lehrlinge motivieren und für die offenen Stellen interessieren könnte, mangelt es nicht. Kampagnen wie etwa „Karriere mit Lehre“ seien zwar „für die Katz“ gewesen, meinte Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl vor kurzem bei einer Diskussionsrunde. Der Tourismus etwa versucht aber dennoch, mit Image-Filmen unter Jugendlichen als „coole Branche“ aufzutreten.

Im Handel, wo einige Unternehmen besonders fleißigen Auszubildenden bereits den Führerschein bezahlen, wird auch die Lehre mit Matura angeboten. Dies sei „ein geniales Angebot für Leute, die gerne praktisch arbeiten und dennoch einen höheren Schulabschluss haben wollen“, sagt etwa die 19-jährige Helga Hofer, die bei Spar in der Steiermark Einzelhandelskauffrau lernte und nun für die Matura büffelt.

In Niederösterreich soll es ab dem kommenden Jahr allen Jugendlichen ermöglicht werden, neben der Lehre auch die Matura abzulegen, ohne dafür selbst in die Tasche greifen zu müssen. Die Kosten übernehmen nämlich das Land Niederösterreich und die NÖ Wirtschaftskammer. Die Berufsreifeprüfung gibt es an sich schon seit zehn Jahren. Knapp 14.000 Personen haben sie bisher absolviert. „Ich würde mir wünschen, dass die Berufsreifeprüfung in allen Bundesländern für alle Absolventen gratis ist“, sagt Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP).

„Industrie hat Nachholbedarf“

Der Minister ortet Nachholbedarf bei der Industrie, die nur rund 15.000 der 129.000 Lehrlinge ausbildet. Laut einer Umfrage der Industriellenvereinigung (IV) will nicht einmal die Hälfte der Industriebetriebe in den kommenden drei Jahren mehr Lehrlinge ausbilden. Gerhard Riemer, in der IV für Bildung zuständig, weist den Vorwurf zurück, die Industrie würde zu wenig ausbilden. Dass gerade bei technischen Berufen der Andrang stärker sei als das Stellenangebot, habe andere Ursachen. Bei einigen technischen Berufen, etwa dem Kfz-Mechaniker, handle es sich um „klassische Modeberufe“. Bei anderen, etwa dem Elektroniker, seien die Anforderungen sehr hoch. „Viele kommen nicht zum Zug, weil ihnen Grundkenntnisse fehlen“, meint Riemer. 80 Prozent der Unternehmen hätten Probleme, passende Lehrlinge zu finden.

Um „geeignete“ Lehrlinge dazu zu bringen, eine Lehrstelle in der Industrie zu suchen, forciere man neue Kombinationsmodelle wie Lehre plus HTL-Matura oder den neuen Beruf „Industrietechniker“. Jenen Lehrlingen, die keine Lehrstelle finden, rät Riemer, Qualifikationsangebote des AMS in Anspruch zu nehmen oder den eigenen Berufswunsch zu überdenken. Manche sollte auch ihr Bewerbungsverhalten überdenken.

Kampf um Gold im Frisieren

Wie weit es Lehrlinge bringen können, zeigen nicht nur Karriere-Beispiele, sondern auch Veranstaltungen wie die Berufsweltmeisterschaften. Vom 8. bis 22. November stellen sich 28 Jugendliche bis 22 Jahre – die besten Facharbeiter ihrer Branche – einem internationalen Wettbewerb in Shizuoka in Japan. 800 Teilnehmer aus 48 Nationen kämpfen dort um Gold im Fräsen, Kochen, Servieren, Frisieren oder Tischlern. Traditionellerweise schneidet die Ausbildung in Österreich bei diesem Wettbewerb sehr gut ab. Bei den letzten „Worldskills“ 2005 in Helsinki errang das Team Austria sechs Medaillen, Österreich nahm damit in der Nationenwertung Rang sechs von 40 Ländern ein.

AUF EINEN BLICK

Die Lehrstellenlücke wird zunehmend kleiner, die Zahl der Lehrlinge wächst: Im September waren 128.507 Lehrlinge in Ausbildung. Vor zwei Jahren waren es nur 120.577 Lehrlinge.

Mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende gibt es bereits in vier Bundesländern: Tirol, Salzburg, Oberösterreich und Kärnten.

Die meisten offenen Lehrstellen pro Lehrstellensuchendem gibt es im Tourismus, die wenigsten bei den technischen Berufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2007)

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