Konten für Arme, Wachstum für alle

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Die Weltbank entdeckt den breiten Zugang zu Finanzprodukten als Waffe gegen die Armut – und warnt zugleich vor den Risiken der populär gewordenen Mikrofinanzierung.

Wien. Die wahren Revolutionen kommen auf leisen Sohlen. Die Weltbank, der Gottseibeiuns aller Globalisierungsgegner, entdeckt die Armen. Nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aus handfestem wirtschaftlichen Interesse. Denn das Wachstum der Weltwirtschaft hängt, so das neue Paradigma, auch von aktiver und rasch wirksamer Armutsbekämpfung ab.

Eine Studie zeigt nun, mit welchen Waffen die Weltbank diesen Kampf gewinnen will. In den USA haben 87 Prozent der Bevölkerung ein Bankkonto. Gleich hinter ihrer Grenze, in Mexiko, sind es nur noch 25, in Afrika unter 20 Prozent. In Botswana gibt es im Schnitt auf 10.000 km eine einzige Bankfiliale. Der fehlende Zugang zu Finanzprodukten, vom Girokonto über den Kredit bis zur Versicherung, zementiert nicht nur tiefe Gräben zwischen Arm und Reich. Er ist auch einer der größten Wachstumshemmer. Das ist das Fazit der Studie „Finanzprodukte für alle? Strategien und Fallen eines erweiterten Zugangs“.

Die Autoren sparen darin nicht mit Selbstkritik. Die Weltbank habe zwar „über die Jahre die Bedeutung finanzieller Stabilität und Effizienz betont“. Viel weniger Aufmerksamkeit wurde aber dem breiten Zugang zu Finanzprodukten geschenkt. Dieses Problem „wurde oft übersehen“.

Kritik an Geldgeschenken

Das ist nicht mehr möglich, seit Mikrofinanzierung in aller Munde ist. Spätestens seit dem Friedensnobelpreis von 2006 für Mohammed Yunus gelten Kleinkredite für Kleinstunternehmer vielen als Allheilmittel gegen die Armut in der Dritten Welt. Doch obwohl sich die Weltbank diesem Trend nicht ganz entziehen kann, machen Mikrofinanz-Projekte nur knapp ein Prozent ihres Budgets aus.

Dahinter steht eine Skepsis, die auch in der Studie zum Ausdruck kommt. Denn Mikrofinanzierung für die Ärmsten wird zu rund 30 Prozent für Konsum statt Investitionen eingesetzt, ist nicht profitabel und auf staatliche Zuschüsse angewiesen. Und zumindest eines hat sich nicht geändert: Bevor ein Weltbank-Autor staatliche Geldgeschenke propagiert, beißt er sich lieber die Zunge ab.

So wird auch gezeigt, dass Zinszuschüsse, Zinsobergrenzen oder Kreditgarantien auf längere Sicht das Gegenteil von dem erreichen, was sich wohlwollende Politiker wünschen. Die Gelder, mit denen ein Entwicklungsland die Ärmsten direkt unterstützt, kommen meist nicht bei diesen an und fehlen bei Bildung und Infrastruktur.

Doch den Weltbank-Autoren geht es gar nicht vorrangig um Kredite. Ein Bankkonto, eine Versicherung, der Zugang zu Factoring und Leasing sei zumindest ebenso wichtig.

Der beste Weg dorthin sei mehr Konkurrenz unter den Finanzinstituten – und die ermöglicht ein Entwicklungsland der Studie zufolge am leichtesten, wenn es den Sektor privatisiert und die Tore für internationale Banken öffnet. Diese suchen ihre Kundschaft zwar nur unter den Großunternehmen und wohlhabenden Privatkunden. Doch damit zwingen sie die nationalen Banken, auf neue Kundenschichten zuzugehen: Kleinunternehmer und arme Haushalte.

„Manchmal ist die wirksamste Maßnahme nicht die offensichtlichste“ – unter diesem Generalmotto empfehlen die Autoren den Ausbau von scheinbar unspektakulären Rahmenbedingungen: Zentrale Auskunfteien, die den Banken die Entscheidung bei der Kreditvergabe erleichtern. Mehr Internet-User, damit die Entfernung zur nächsten Bankfiliale kein Hindernis mehr ist und die Transaktionskosten sinken. Rechtssicherheit, damit der Kreditgeber auf eine Hypothek auch tatsächlich Zugriff hat.

Ob damit der große Durchbruch in der Armutsbekämpfung skizziert ist, bleibt offen. Fest steht, bei allen Einschränkungen, der Paradigmenwechsel einer der einflussreichsten Institutionen der Weltwirtschaft. Früher glaubte man, „ein Anstieg der kurzfristigen Ungleichheit sei eine unvermeidliche Konsequenz von frühen Entwicklungsstadien“. Heute werde „zunehmend anerkannt, dass [...] die Umverteilung des Reichtums die Entwicklung beflügelt“.

Zum Teil altbekannte Mittel werden also nun in den Dienst eines neuen Zieles gestellt – eine leise Revolution, die eingefleischte Globalisierungsgegner nicht wenig verwirren wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2007)

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