Deutschland: Lokführer machen mächtig Dampf

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Größter Bahnstreik in deutscher Geschichte bringt Bahn-Führung in Bedrängnis.

BERLIN. Vor dem größten Bahnstreik der Geschichte macht sich in Deutschland zunehmend Nervosität breit. Die Bahn tüftelt an Notfallplänen, die Regierung warnt vor volkswirtschaftlichen Folgen, die Wirtschaft malt das Schreckgespenst der Kurzarbeit an die Wand, die Speditionsunternehmen rechnen mit Ausfällen, die in die Milliarden gehen könnten. Nur die Autoleasingfirmen und die Mitfahrzentralen frohlocken über die Nachfrage.

Die Ankündigung der Lokführergewerkschaft (GDL), bis Samstag zwei Uhr früh den Bahnverkehr lahm zulegen, hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Nach der Bestreikung des Nah- und Regionalverkehrs hat der Arbeitskampf mit der Ausweitung auf den Fern- und Güterverkehr eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Am stärksten dürfte Ostdeutschland betroffen sein. Dort sind 90 Prozent der Lokführer in der GDL organisiert, während im Westen Deutschlands beamtete Lokführer das Streikausmaß in Grenzen halten. Bisher habe der Streik ja noch nicht ins Mark getroffen, ließ GDL-Chef Manfred Schell durchblicken. Nun aber machen die Lokführer mächtig Dampf. Indirekt drohte Schell sogar bereits mit Streiks zu Weihnachten. Dies wolle er sich zwar gar nicht ausmalen, erklärte er, um anzufügen: „Das würde der Bahnvorstand nicht überleben.“

Bitte an Merkel um Machtwort

Tatsächlich soll sein Widersacher Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen Bahn, mit dem Gedanken an Rücktritt gespielt haben. Erst jüngst richtete er einen Brief an Kanzlerin Angela Merkel mit der Bitte, ein Machtwort auszusprechen. Sie schlug ihm den Wunsch postwendend ab. Bisher ist die Politik peinlich darauf bedacht, die Tarifautonomie zu wahren.

Doch der Druck aus der Wirtschaft auf den Staat, den Eigentümer der Bahn, nach einer Intervention steigt mit jedem Tag, an dem die Räder still stehen. Ein Krisengipfel zwischen Mehdorn und Schell schlug kürzlich fehl. Das Bahn-Management gibt sich kompromisslos. Personalvorstand Margret Suckale sagte, die Bahn werde sich nicht erpressen lassen.

Die Lokführer-Gewerkschaft deutete Abstriche bei der Arbeitszeit-Regelung und der Forderung nach einer 31-prozentigen Lohnerhöhung an. Freilich pocht sie weiterhin auf einen eigenen Tarifvertrag, ihre Kernforderung. Als Kompromissformel war die Ausgliederung der Lokführer in eine Service-Holding im Gespräch, die auch höhere Löhne zahlen könnte.

Dagegen laufen aber die anderen Bahngewerkschaften Sturm, allen voran die Transnet. Sie drohten ihrerseits in einem solchen Fall mit Streiks– und erst recht bei einer Privatisierung der Bahn oder einer Filetierung in einzelne Teile. Sie fürchten eine massive Kündigungswelle, zehntausende Jobs seien gefährdet.

Der Börsengang ist mit dem Beschluss des Volksaktien-Modells der SPD ohnedies auf die lange Bank geschoben. Sehr wohl kursiert inzwischen aber das Konzept einer Privatisierung von Tochterfirmen der Deutschen Bahn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2007)

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