Studie: Brenner-Basistunnel als Milliardengrab

Studie. Verkehrswissenschaftler kritisieren unrealistische Planungsannahmen und schlagen Sparvariante vor.

wien. Seit Anfang Mai ist zumindest der Bau des Probestollens für den 56 Kilometer langen Brenner-Basistunnel zwischen Tirol und Italien "auf Schiene" und für den Bau des mindestens neun Mrd. Euro teuren Projekts wird - unter anderem morgen, Donnerstag, bei einer hochkarätig besetzten Konferenz in Wien - heftig lobbyiert.

Doch das Riesenprojekt, dessen endgültige Finanzierung immer noch nicht gesichert ist, stößt auch auf heftige Kritik. Die Wiener Wirtschaftsuniversität beispielsweise kommt in einer heuer abgeschlossenen Studie zum Schluss, der Eisenbahntunnel basiere auf falschen Verkehrsannahmen und Kostenschätzungen, werde weder im Personen- noch im Güterverkehr eine nennenswerte Verlagerung von der Straße auf die Schiene bewirken. Sei also von zweifelhafter Wirtschaftlichkeit und entziehe nur sinnvolleren Infrastrukturinvestitionen Geld. Besser und billiger wäre eine Sparvariante, die ausschließlich von Güterzügen benutzt werde.

Der vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik unter Institutsvorstand Sebastian Kummer (Mitautoren Philipp Nagel und Jan-Philipp Schlaak) erstellte Forschungsbericht "Zur Effizienz von Schieneninfrastrukturbauvorhaben am Beispiel des Brenner-Basistunnels" sieht bei österreichischen Infrastrukturinvestionen grundsätzlich ein generelles Effizienzproblem: In der Planung würden in der Regel künftige Verkehrszuwächse viel zu hoch und Kosten viel zu niedrig angesetzt.

Das führe dazu, dass im Normalfall zu teuer und zu groß gebaut werde. Eine Mitfinanzierung der EU - wie etwa beim Brenner-Basistunnel - ändere an der Ineffizienz nichts, "etwaige Ineffizienzen" würden da nur "von anderer Stelle finanziert". Wenn zu teuer und überdimensioniert gebaut werde, dann erhöhe das die Preise für Transportleistungen im Schienenverkehr. Und das vermindert die Konkurrenzfähigkeit der Bahn gegenüber der Straße, statt diese zu steigern.

Schuld daran sind, so die WU-Studie, "falsche Anreizsysteme": Für Bauunternehmen ist es vorteilhaft, die Kostenschätzungen möglichst niedrig zu halten, um an den Auftrag zu kommen. Probleme ergeben sich dadurch für die Unternehmen nicht, weil Kostensteigerungen bei öffentlichen Aufträgen relativ problemlos weitergereicht werden können.

Wie krass diese Differenzen ausfallen können, zeigt das Beispiel Brenner-Basistunnel: Ursprünglich war der Tunnel mit 1,45 Mrd. Euro angesetzt, unterdessen liegen die Kostenschätzungen bei acht bis neun Milliarden, Kenner der Materie halten zehn bis 15 Mrd. Euro für nicht unrealistisch. Um solche Kosten zu rechtfertigen, muss natürlich ein entsprechender Bedarf nachgewiesen werden. Und da kommt es, so die Kummer-Studie, in der Regel zur "systematischen Überschätzung von zukünftigen Passagierzahlen, insbesondere im Bahnverkehr".

Der Brenner-Basistunnel soll nach den Vorstellungen seiner Betreiber die Güterkapazität der Brennerbahn beträchtlich anheben und gleichzeitig den Personenverkehr durch starke Fahrzeitverkürzungen attraktiver machen.

Die WU-Studie zweifelt diese Effekte an: Die Passagierzahlen würden nicht steigen, der Güterverkehr nicht wesentlich attraktiver werden. Zumal die bestehende Brennerstrecke noch beträchtliche Kapazitätsreserven aufweise.

Zum Personenverkehr: Nach Ansicht der Studienautoren bringen schnelle Zugsverbindungen nur dann zusätzliche Passagiere, wenn die "komplexe Reisezeit" (sozusagen von Tür zu Tür) einigermaßen mit dem Flugzeug konkurrieren könne. Bei den Verbindungen, um die es da geht - speziell München-Mailand - müsste die Bahn eine "komplexe Reisezeit" von maximal vier Stunden schaffen, um konkurrenzfähig zu sein. Der Brenner-Basistunnel werde die Fahrzeit zwischen diesen beiden Städten um etwas mehr als eine Stunde verkürzen - von derzeit 7:15 auf 6:07 Stunden. Damit ist die Einrichtung von Tagesrandverbindungen, wie sie der Flugverkehr bietet, nicht möglich.

Fazit der Studie: Bei den Passagieren werde der Basistunnel im Fernverkehr "mangels relevanter Nutzenverbesserungen" kaum und im Nahverkehr überhaupt keine Zuwächse bringen. Die dem Tunnelprojekt zu Grunde liegenden Annahmen über stark steigende Passagierzahlen in den kommenden Jahren seien jedenfalls nicht nachvollziehbar.

Bliebe der Güterverkehr. Die Prognosen der Bahn und des Verkehrsministeriums gehen davon aus, dass sich die Zahl der täglichen Güterzüge am Brenner bis 2015 um das 2,3fache auf 223 erhöht. Das entspräche einer jährlichen Steigerung um 8,6 Prozent. Der Bahn-Güterverkehr müsste also doppelt so schnell wachsen wie zuletzt.

Völlig unrealistisch, urteilen die Studienautoren: Die großen Transit-Zuwächse seien in nächster Zeit auf den Ost-West- und nicht auf den Nord-Süd-Achsen zu erwarten. Die schwache wirtschaftliche Situation Italiens mache größere Transportsteigerungen zwischen Deutschland und Italien in den kommenden Jahren unwahrscheinlich.

Eine Zwangs-Umleitung der Güterströme sei durch die Begrenzung der Lkw-Maut auf der Brenner-Autobahn auch nicht zu erwarten. Ein Teil des Eisenbahn-Güterverkehrs werde durch die bereits ausgebauten Schweizer Bahn-Transitstrecken abgezogen.

Kurzum: Die Verkehrswissenschaftler vermuten eine "intendierte systematische Überschätzung der Zugzahlen sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr". Selbst wenn das Bahn-Transportvolumen weiter so wächst wie in den vergangenen Jahren, würde die Kapazitätsgrenze der "alten" Brennerbahn erst 2025 erreicht. Und nicht, wie die Tunnel-Bauer meinen, schon 2015.

Die WU-Studie schlägt statt des Monsterprojekts eine Sparvariante vor: Einen einröhrigen Tunnel, der ausschließlich von Güterzügen benutzt würde. Das käme beträchtlich billiger als die jetzige zweiröhrige Variante und brächte noch, wegen des Wegfalls des "Mischbetriebs", wesentlich höhere Kapazitäten.

Der Tunnel würde 600 Güterzüge pro Tag verkraften, weitere 226 könnten über die bestehende Strecke fahren. Das wäre eine doppelt so hohe Güterzugskapazität als im geplanten Tunnel - quasi zum halben Preis. Das würde die Wettbewerbssituation der Bahn auf dieser Strecke stark verbessern.

Übrigens: Für unrealistisch halten die Wissenschaftler auch den Zeitplan: Wie der Tunnel derzeit angelegt sei, werde er nicht 2016, sondern frühestens 2025 fertig.

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