Türkei: Öcalan-Prozess neu aufgerollt

türkei. Straßburger Menschenrechts-Gerichtshof rügt Ankara: Erstes Verfahren war unfair.

Istanbul. Überraschend gelassen nahm die türkische Regierung das Urteil des Europäischen Menschenrechts-Gerichtshofs in Straßburg auf, der Prozess gegen Kurdenführer Abdullah Öcalan sei unfair gewesen. Das Verfahren gegen den seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer inhaftierten Öcalan wird wohl - so auch die Empfehlung des Straßburger Gerichts - neu aufgerollt. Ankaras Außenminister Abdullah Gül meinte allerdings, selbst wenn Öcalan noch hundertmal verurteilt werde, käme doch immer die gleiche Strafe heraus: lebenslang.

Eigentlich hat die große Kammer des Menschenrechts-Gerichtshofs mit ihrem jüngsten Spruch nur ein erstinstanzliches Urteil bestätigt. Gerügt wurde im Speziellen, dass Öcalan zu spät einem Haftrichter vorgeführt wurde und dass bei seinem Prozess der Militärrichter erst eine Woche vor dem Urteil gegen einen zivilen Richter ausgetauscht wurde. Außerdem sei Öcalan nicht genügend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung eingeräumt worden: Er hatte gerade 15 Tage, sich durch die 17 Ordner umfassende Anklageschrift zu wühlen. Auch der Kontakt mit seinen Anwälten war ungenügend und es wurden nicht genug Zeugen befragt.

In anderen Punkten konnten sich Öcalans Anwälte nicht durchsetzen: So befand das Gericht, die Bedingungen, unter denen Öcalan inhaftiert ist, seien nicht so gravierend, dass sie einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellten. Auch Öcalans mysteriöse Verschleppung aus Kenia, durchgeführt von einem türkischen Sonderkommando, beanstandeten die Straßburger Richter nicht.

Die gegen Öcalan ursprünglich verhängte Todesstrafe wurde zwar mittlerweile - nach der Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei - in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt, der Kurdenführer hat aber keine Möglichkeit, begnadigt zu werden. Öcalan wird also als einziger Häftling auf Imrali bleiben, bis ein Arzt seinen Tod feststellt. Seine Anhänger fordern zumindest die Verlegung in ein normales Gefängnis auf dem Festland und machen auf die erheblichen Gesundheitsprobleme in Folge der Isolationshaft aufmerksam.

Die Türkei hat sich 2003 dazu verpflichtet, Verfahren, die vom Europäischen Gericht gerügt werden, wieder aufzunehmen. Im konkreten Fall müssten dafür möglicherweise erst einige Gesetze geändert werden, sagte der Vize-Vorsitzende der türkischen Regierungspartei AKP. Ankaras Justizminister Cemil ‡i§ek meinte nur, man habe keine Eile. Es wird spekuliert, dass die Regierung das heiße Eisen nicht vor dem für 3. Oktober geplanten Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen anfassen wird. Brüssel, wo man den Umgang mit den Urteilen des Menschenrechts-Gerichtshofs genau beobachtet, forderte Ankara noch am Donnerstag auf, Öcalan einen fairen Prozess zu ermöglichen.

Für die von Öcalan 1978 gegründete PKK ist der Kurdenführer nach wie vor die zentrale Figur. An seinem letzten Geburtstag nahm die Partei ihren alten Namen wieder an, den sie, ebenso wie den bewaffneten Kampf, nach der Gefangennahme und Verurteilung Öcalans aufgegeben hatte. Sie löste damals ihre Einheiten jedoch nicht auf, sondern behielt sie in ihren Lagern im Nordirak.

Nennenswerte Früchte konnte sie mit ihrer Versöhnungspolitik nicht ernten. Auf Druck der EU gab es zwar von türkischer Seite einige Reformen zu Gunsten der Kurden, beispielsweise im Medienbereich, vieles blieb indes beim Alten. So kommt etwa der Aufbau zerstörter kurdischer Dörfer kaum voran, von der althergebrachten Türkisierungspolitik wurden nur unbedeutende Abstriche gemacht.

Angesichts der politischen Frustrationen hat die PKK vor einem Jahr den bewaffneten Kampf vom Nordirak aus wieder aufgenommen. Allerdings haben die Zusammenstöße nicht das frühere Ausmaß erreicht, einige Veteranen haben sich von ihren Einheiten getrennt. Dazu gehört auch der Bruder von Abdullah Öcalan, Osman. Er soll sich derzeit in Mossul aufhalten und unter amerikanischem Schutz stehen. Die Brüder haben sich entzweit, weil Osman gegen das Heiratsverbot innerhalb der PKK verstoßen hat. Mittlerweile ist er mit einer Ex-Mitstreiterin verheiratet und stolzer Vater, während sein Bruder in Isolationshaft sitzt. Siehe auch Öcalan-Porträt auf S. 31.

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