Tod im Freibad

Der Tote trieb mit dem Kopf nach unten im Sportbecken des Freibads. Auf der Badehaube zeichnete sich deutlich ein Blutfleck ab.

Vergeblich bemühte sich ein Polizist, den Leichnam mit einer Stange an den Beckenrand zu ziehen. Nach dem zehnten Versuch platzte Beck der Kragen.
„Wie lange sollen wir dir noch bei diesem makaberen Schauspiel zuschauen? Du steigst jetzt sofort in das Wasser und birgst den Toten!"
Mürrisch zog sich der Beamte bis auf die Unterhose aus und leistete der Anordnung seines Vorgesetzten Folge. Eine Minute später lag der Mann auf dem Betonboden neben dem Bassin.
„Und?", erkundigte sich Beck, nachdem der Gerichtsmediziner den Leichnam begutachtet hatte.
„Die Schaumnuss im Mund deutet darauf hin, dass er ertrunken ist."
„Und die Verletzung am Hinterkopf? Hat er sich die beim Sturz zugezogen?"
„Eher nicht", erwiderte der Arzt. „Er dürfte mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen worden sein. Der Tod ist vor rund zehn Stunden eingetreten. Genaueres kann ich dir natürlich erst nach der Obduktion sagen."
„Sie haben den Toten also entdeckt", wandte sich Beck an den Bademeister, der bekümmert auf einem Startsockel saß. „Wann war das?"
„Kurz vor acht. Ich habe wie jeden Tag kontrolliert, ob die Becken in Ordnung sind. Da habe ich plötzlich Rudi im Wasser treiben gesehen."
„Sie kennen den Toten?"
„Das ist Rudi Vok", bestätigte er deprimiert. „Österreichs bester Brustschwimmer und eine unserer..."
„Medaillenhoffnungen für die Olympischen Spiele", ergänzte der Kommissar.
„Haben Sie eine Ahnung, was Vok hier in der Nacht gemacht hat?"
Der Mann schüttelte den Kopf, aber Beck entging nicht das nervöse Zucken in seinem Gesicht.
„Wenn Sie etwas wissen, dann heraus mit der Sprache! Immerhin ermitteln wir hier in einem Mordfall."
„Ich habe Rudi nach Betriebsschluss heimlich ins Bad gelassen, damit er trainieren kann."
„Warum das?"
„Er hat sich doch mit allen zerstritten. Angefangen vom Verbandspräsidenten, über den Bundestrainer bis hin zu Adi Kern, seinem Trainingspartner. Wenn bekannt wird, dass ich ihm erlaubt habe, im Freibad zu schwimmen, kann ich meinen Hut nehmen."

Beck bestellte die drei Männer ins Präsidium, um sie zu befragen.
Als Ersten bat er Kern zu sich ins Büro und setzte ihn vom Tod seines Trainingspartners in Kenntnis.
„Rudi tot. Wie ist das passiert? Ein Unfall?"
„Er ist ertrunken."
„Jetzt scherzen Sie aber. Sie reden gerade von einem der besten Schwimmer Österreichs. So jemand ertrinkt doch nicht."
„Wenn man nachhilft, vielleicht schon. Wo waren Sie eigentlich gestern gegen zweiundzwanzig Uhr?"
„Sie glauben doch nicht, dass ich etwas mit Rudis Tod zu tun habe. Wir waren ..."
„...Konkurrenten", fiel ihm Beck ins Wort, „von denen sich nur einer für London qualifizieren konnte."
„Ich bin Sportler", entrüstete sich Kern. „Mir geht Fairness über alles. Die paar Hundertstel, die Rudi schneller war, hätte ich locker aufgeholt."
„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet."
„Ich war bis halb zehn im Training, dann bin ich todmüde ins Bett gefallen. Zeugen gibt es dafür allerdings keine."

„Rudi tot", erschrak der Verbandspräsident. „Das ist eine Katastrophe nationalen Ausmaßes."
„Ich dachte, Sie wollten ihn aus dem Kader zu werfen."
„Das war doch nur eine pädagogische Maßnahme. Wissen Sie, Rudi ist einerseits ein Spitzenathlet, andererseits jedoch ein Querkopf, dem es keiner recht machen konnte. Es ist einfach nicht gut für die Truppe, wenn sich jemand ständig mit dem Trainer anlegt und sein eigenes Süppchen kochen will."
„Angeblich ist es in der vergangenen Woche zu einem Streit zwischen Ihnen und Vok gekommen. Worum ging es dabei?"
„Rudi hat sich geweigert, weiter mit den anderen zu trainieren. Glauben Sie mir, mir ist es gleichgültig, wenn er im Freibad nach Trainingsschluss noch ein paar Längen zieht, aber das gemeinsame Trainingsprogramm zu boykottieren und die Arbeit unserer Betreuer ins Lächerliche zu ziehen, ist etwas, das nicht angeht. Das habe ich ihm klarzumachen versucht."
„Wo waren Sie eigentlich gestern gegen zweiundzwanzig Uhr?"
„Sie denken doch nicht etwa, dass ich etwas mit seinem Tod zu tun habe."
„Es handelt sich hierbei lediglich um eine Routinefrage."
„Ich war bis Mitternacht in meinem Büro."
„Gibt es dafür Zeugen?"
„Alle Funktionäre sind ehrenamtlich tätig. Bei aller Liebe zum Sport, so lange bleibt niemand freiwillig im Verbandsgebäude."

Als Letzten befragte Beck den Bundestrainer. Dieser schlug erschüttert die Hände vors Gesicht, als er vom Tod seines besten Schwimmers erfuhr.
„Ich dachte, Sie waren auf den Toten nicht gut zu sprechen."
„Das ist richtig, aber Rudi war ein Ausnahmeathlet. Er hatte alle Voraussetzungen, um in London in die Medaillenränge zu schwimmen. Da ich ihn lange Zeit trainiert habe, wäre ein wenig von seinem Ruhm dann auch auf mich abgefallen."
„Darf man erfahren, warum es zwischen Ihnen und Vok Streit gegeben hat?"
Beck entging nicht, dass sich die Miene des Trainers verdüsterte, als er zu sprechen begann.
„Rudi hat mich öffentlich bloßgestellt und meine Trainingsmethoden als veraltet bezeichnet. Zuletzt hat er sich sogar geweigert, weiter an den Übungsreihen, die ich erarbeitet habe, teilzunehmen."
„Wie haben Sie darauf reagiert?"
„Ich habe den Verbandspräsidenten von dieser Disziplinlosigkeit in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, Rudi ins Gebet zu nehmen."
„Und damit war die Angelegenheit für Sie erledigt?"
„Nein, ganz und gar nicht! Nachdem er noch immer nicht kooperiert hat, habe ich ihm mitgeteilt, dass ich an seiner Stelle Adi nominieren werde."
„Und er?"
„Hat mich nur ausgelacht", gestand der Trainer bitter.
„Wo waren Sie gestern gegen zweiundzwanzig Uhr?"
„Ich bin nach dem Training nachhause gegangen. Zeugen gibt es dafür allerdings keine."
Nach der Befragung war Beck so klug wie zuvor. Alle drei Verdächtigen hatten ein Motiv und keiner konnte ein Alibi vorweisen.
Er nahm sich vor, jeden noch einmal in die Mangel zu nehmen, als ihm ein Detail einfiel, das er während der Befragung überhört hatte.

Was hat Beck überhört? Wer ist der Täter?

>>Zur Lösung

Der Autor:

Ernst Schmid ist Hauptschullehrer in Linz und hat bereits zahlreiche Gedichtbände und Kriminalromane veröffentlicht, zuletzt "Kalt machen" (Thriller 2011) und "Mord im Himmelreich" (Kriminalroman 2011).

www.krimiautoren.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2011)

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