Wehrpflicht hat ausgedient

Wehrpflicht ausgedient
Wehrpflicht ausgedient(c) APA BUNDESHEER PETER LECHNER (BUNDESHEER PETER LECHNER)
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Das Bundesheer muss sich an die Einsatzerfordernisse anpassen und braucht daher eine umfassende Strukturreform hin zu einem Profiheer. Von NORBERT DARABOS

Der Grundgedanke, der hinter der allgemeinen Wehrpflicht steht, ist es, möglichst viele Soldaten für ein klassisches Massenheer zur Verfügung zu stellen. Deshalb werden seit 1955 alle männlichen Staatsbürger zum Präsenzdienst einberufen. Für die junge Zweite Republik, für die Zeit der Bipolarität und des gegenseitigen Misstrauens in Europa, mag das die richtige Antwort gewesen sein. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Österreich liegt eingebettet im Herzen eines friedlichen Europas. Wir sind umgeben von EU-Partnern sowie der Schweiz und Liechtenstein. Eine konventionelle militärische Bedrohung – etwa durch Panzer – gibt es nicht mehr. Die Bedrohungen sind komplexer und unvorhersehbarer geworden, sie treten kurzfristig auf und erfordern schnelle Reaktionsfähigkeit. Internationaler Terrorismus, das Scheitern von Staaten, Angriffe auf IT-Systeme, die Bedrohung strategisch wichtiger Infrastruktur oder die Folgen des Klimawandels – das sind einige der Herausforderungen, für die wir künftig gerüstet sein müssen.

Die allgemeine Wehrpflicht ist ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Das zeigt sich auch deutlich an der derzeitigen Form des Grundwehrdienstes. Durch die Verkürzung auf sechs Monate und das Ende der verpflichtenden Milizübungen ist ein System entstanden, das bei hohen Kosten und enormem Personalaufwand nur geringen militärischen Output liefert. Jeder Grundwehrdiener ist nach zwei Monaten Basisausbildung lediglich vier Monate an seinem Arbeitsplatz.

Man muss sich vor Augen führen, dass wir das Geld, den Personalaufwand und die damit verbundene Bürokratie in Grundwehrdiener investieren, die uns nach kurzer Zeit wieder verlassen. Und weil das System für einen Arbeitsplatz drei Grundwehrdiener pro Jahr braucht, ergibt sich auch eine hohe Anzahl an Systemerhaltern. 60 Prozent der etwa 23.000 Grundwehrdiener sind als Fahrer, Köche, Kellner oder Schreiber eingesetzt. Ein gewaltiger Apparat ist damit beschäftigt, die restlichen 40Prozent der Rekruten in kürzester Zeit zur Abwehr eines Feindes auszubilden, den es in dieser Form nicht mehr gibt.

Dass man die Verpflichtung zum Dienst an der Waffe gegenüber den Betroffenen – Österreichs jungen Männern – unter diesen Voraussetzungen nicht mehr rechtfertigen kann, liegt auf der Hand. Immerhin geht es dabei um sechs Monate ihres Lebens, die sie anderweitig, etwa in Aus- und Weiterbildung oder den Einstieg ins Berufsleben, sinnvoller investieren könnten.

Die neuen Einsatzszenarien zum Schutz der Bevölkerung erfordern aus meiner Sicht ein schlankes, flexibles und rasch einsetzbares Bundesheer aus Profis und Spezialisten. Ich trete daher für ein Heer ein, das auf bestens ausgebildete Soldaten und eine starke Milizkomponente baut. Mein Modell sieht 8500 Berufssoldaten, 7000 Zeitsoldaten (Verpflichtungszeitraum drei bis maximal neun Jahre) sowie 9300 Profimilizsoldaten vor.

Die Profimiliz soll deutlich aufgewertet werden: zwei Wochen verpflichtende Übungen im Jahr, auf Knopfdruck für Katastropheneinsätze einsetzbar und bestens ausgestattet. Dazu kommen 6500 Zivilbedienstete statt wie bisher 8400. Damit erreichen wir eine dringend nötige Senkung der Personalkosten bis 2022 um 400 Millionen Euro, eine drastische Reduktion des Verwaltungsapparates, eine notwendige pyramidenförmige Personalstruktur und eine Senkung des langsam, aber stetig steigenden Durchschnittsalters des Berufskaders um zumindest fünf Jahre.

Profiheer stärkt Katastrophenhilfe. Diese sinnvolle Mischung aus Berufs-, Zeit- und Milizsoldaten kann alle derzeit vorstellbaren Einsätze abdecken. Das umfasst natürlich auch Assistenzeinsätze im Fall einer Naturkatastrophe. Das Profiheer stärkt die Katastrophenhilfe und bringt einen enormen Qualitätsschub. Bei den Pionierbataillonen, den Spezialisten im Katastrophenfall, werden im Profiheer die Grundwehrdiener eins zu eins durch Berufssoldaten ersetzt. Das bedeutet gleiche Mannstärke bei deutlich besserer Ausbildung. Die drei Bataillone werden in voller Stärke jeweils mit 800 gut ausgebildeten Spezialisten aufgefüllt sein. Macht in Summe 2400 Pioniere für schnelle, effiziente Hilfe. Zusätzlich werden auch innerhalb der neuen Profimiliz neun Pionierkompanien aufgestellt – eine für jedes Bundesland.

Um die Personalstärke aufrechtzuerhalten, peilen wir als Rekrutierungsziel in den ersten Jahren 2550 Personen pro Jahr an, in Folge rund 2000 jährlich. Die gleiche Anzahl an Soldaten, die wir bereits jetzt jedes Jahr aufnehmen. Mein Konzept beinhaltet lukrative Anreizsysteme und Prämien. Es gibt Auslandseinsatzprämien für alle Angehörigen der Einsatzorganisation. Darüber hinaus bieten wir eine Jahresprämie für die 9300 Soldaten der Profimiliz. Neben den finanziellen Anreizen bieten wir unseren Zeitsoldaten berufliche Weiterbildungsmaßnahmen, Umschulungsangebote oder Beiträge für Zusatzpensionen. Mit diesem Paket ist das Rekrutierungsziel absolut erreichbar.

Kaiser Wilhelm II. hat 1906 gesagt: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“ Dieses Zitat erinnert an die ÖVP-Formel in der Debatte um die Zukunft des Bundesheeres, die da lautet: „Alles muss so bleiben, wie es ist. Ein Berufsheer kann unmöglich funktionieren.“ Das Gegebene mit aller Kraft bewahren zu wollen und daraus eine Glaubensfrage zu machen, war Anfang des 20. Jahrhunderts keine gute Idee und ist es Anfang des 21. Jahrhunderts schon gar nicht, insbesondere in sicherheitspolitischen Fragen. Wenn sich die Welt verändert, müssen sich auch die Streitkräfte verändern. Wir brauchen eine tiefgreifende Reform, um die unbestritten hohe Qualität der Arbeit unserer Soldaten abzusichern. Die bevorstehende Volksbefragung am 20.Jänner2013 gibt uns die einmalige Chance zu diesem Paradigmenwechsel.

Norbert Darabos, SPÖ, ist seit 2007 Bundesminister für Landesverteidigung.

Johanna Mikl-Leitner,ÖVP, ist seit 2011 Bundesministerin für Inneres.
APA (2)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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