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Pfingstdialog

Der europäische Weg –  Anspruch und Wirklichkeit

Starphilosoph Peter Sloterdijk zu Gast auf Schloss Seggau mit der steirischen Wissenschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl, ÖIF-Direktor Franz Wolf (r.) und Club Alpbach-Steiermark-Vorsitzendem Herwig Hösele (l.).
Starphilosoph Peter Sloterdijk zu Gast auf Schloss Seggau mit der steirischen Wissenschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl, ÖIF-Direktor Franz Wolf (r.) und Club Alpbach-Steiermark-Vorsitzendem Herwig Hösele (l.).Foto Fischer
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Im Rahmen des 11. Pfingstdialogs Steiermark erörterten Kapazunder ihres Fachs – wie Paul Lendvai und Peter Sloterdijk – Ende Mai auf Schloss Seggau die Realität und die Wirklichkeit des „European Way of Life“.

Ist Europa im globalen Rahmen zukunftsfähig und eine attraktive Alternative zu autoritären, planwirtschaftlichen oder aufklärungsfeindlichen Tendenzen? Ist das europäische Modell von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte in Verbindung mit einer sozial und ökologisch verantwortlichen Marktwirtschaft und einer reichen Kultur der Vielfalt im Wettbewerb mit dem turbokapitalistischen System US-amerikanischen Zuschnitts oder den autoritär-totalitären Gesellschaften Asiens wettbewerbsfähig genug?

Vor Pfingsten trafen sich rund 80 hochkarätige Experten mit 300 Teilnehmern auf Schloss Seggau in der Südsteiermark, um die Zukunft des europäischen Lebensmodells zu diskutieren. Zur Eröffnung betonte die steirische Wissenschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl die Dimensionen des diesjährigen Generalthemas: „Es ist eine Gnade, auf diesem Kontinent geboren sein zu dürfen. Viele Dinge, die für uns selbstverständlich sind, sind es in Wahrheit nicht. Europa ist ein globaler Sehnsuchtsort.“ Mit diesem Glück ist aber auch unser aller Verantwortung gegenüber künftigen Generationen verbunden. „Unser Einsatz für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und all jenen Errungenschaften, die unser Leben in Europa so wertvoll machen, kann und darf nicht weniger werden. Dies beinhaltet neben sozialen Themen natürlich auch die wirtschaftliche Stärke unseres Kontinents. Europa wird sich weiterhin anstrengen müssen, um beispielsweise im Technologiewettbewerb mitzuhalten, da gerade Global Player aus Asien und den USA im Begriff sind, ihren Vorsprung weiter auszubauen.“ Bereits die Keynotes von Paul Lendvai und Peter Sloterdijk gaben einige Antworten.

Optimismus des Willens

„Wenn wir über den Anspruch und die Wirklichkeit des European Way of Life vor allem seit dem 24. Februar 2022 diskutieren, der zu einem unglaublich symbolträchtigen Datum geworden ist, müssen wir die Frage stellen, was sich verändert hat“, so Lendvai in seiner Keynote, „Wo liegen die Ursachen und die treibenden Kräfte des Wandels? Wie zwangsläufig waren die Entwicklungen und was wären die Alternativen gewesen?“

Paul Lendvai sprach sich in seiner Keynote für einen Optimismus des Willens und für die europäische Gemeinschaft aus. 
Paul Lendvai sprach sich in seiner Keynote für einen Optimismus des Willens und für die europäische Gemeinschaft aus. Foto Fischer

„Wir brauchen einen Pessimismus des Verstandes und einen Optimismus des Willens“, zitiert Lendvai Romain Rolland und stellt fest: „Unser Europa, das freie Europa, und unsere liberale Demokratie sind einer doppelten Bedrohung ausgesetzt. Einer von außen, durch das imperialistische Russland und der Diktatur, und die Bedrohung von innen, seitens autoritärer und populistischer Kräfte, die die Gesellschaft in das ,wir‘ und ,sie‘ einteilen, in das Volk und die Elite. Sie radikalisieren und polarisieren. Sind wir uns ausreichend bewusst, wie schnell demokratische Institutionen ganz legal um ihre Unabhängigkeit gebracht und für illiberale Ziele missbraucht werden können?“ Wirklicher Frieden kann nur in Freiheit gesichert werden, folgert Lendvai und hinterfragt, ob liberale Kräfte überhaupt genügend Widerstandskraft besitzen, um dem Illiberalen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Viele würden das europäische Modell und die Europäische Union als Auslaufmodell ansehen, weshalb Populismus und Polarisierung die Hauptgefahren für liberale Demokratien und den European Way of Life sind.

Lendvai erinnert an die Veränderung in den ehemaligen Staaten des Ostblocks nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989: Privates Eigentum wurde möglich, Rechtsstaatlichkeit, Mehrparteiensysteme, freie und faire Wahlen, unzensierte und freie Medien, die Unabhängigkeit der Wissenschaft, Pluralismus, konstitutionelle Checks und Balances und eine starke Zivilgesellschaft, die auf privatwirtschaftlichen und vom Staat unabhängigen Ressourcen aufbaut, wurden Realität. Doch angesichts der diversen Krisen, von der Pandemie bis zu Flüchtlingsbewegungen, werde nun immer wieder der Zusammenbruch der Europäischen Union heraufbeschworen. „Seit dem 24. Februar 2022, dem Überfall Russlands auf die Ukraine, gilt für die Europäische Union der Spruch des Aristoteles: Es ist wahrscheinlich, dass das Unwahrscheinliche geschieht. Die EU hat eine geopolitische Führungsrolle übernommen und zum ersten Mal harte Machtmittel eingesetzt.“ Eine entschlossene Führung sei in der liberalen Demokratie keine Gefahr, sondern ein Gebot. So hätte Joe Biden dafür gesorgt, dass die USA eine führende Rolle spielen, ohne auf die Auswirkungen seiner Popularitätswerte zu schielen.

VfGH-Präsident Grabenwarter diskutierte die Grundordnung unseres europäischen Lebensstils.
VfGH-Präsident Grabenwarter diskutierte die Grundordnung unseres europäischen Lebensstils.Foto Fischer

Erfolgsgeschichte EU

Es gibt eine verhängnisvolle Gewöhnung an das Gute und es sei nur verständlich, dass das vielen banal erscheint, meint Lendvai und zitiert Nitzsche: Nicht wenn es gefährlich ist, die Wahrheit zu sagen, findet sie am seltensten Vertreter, sondern wenn es langweilig ist. Für viele junge Menschen wäre es heute langweilig, über die Europäische Union zu sprechen. Deshalb wurde es seit dem Brexit und dessen täglich spürbaren Folgen auch unmodern, über Austritte aus der EU zu diskutieren. Allerdings schränkt er ein, dass das Störpotenzial der nationalistischen Populisten innerhalb der Union nicht unterschätzt werden dürfe.

„Ich erinnere mich an die Zeit, als die Europäische Union, ein vereintes, freies, prosperierendes Europa, für viele Millionen ein fern leuchtendes Sehnsuchtsziel war. Ich erinnere mich gerade jetzt daran, als manche Politiker als Gegenentwurf zur Europäischen Gemeinschaft eine Festung Österreich nach dem Vorbild von Orbans Ungarn propagieren. Andere benutzten das Feindbild der EU zur Verschleierung der eigenen Versäumnisse in der Migrations-, Pflege- und Energiepolitik.“ „Niemand weiß, wie der Ukraine-Krieg enden wird“, stellt Lendvai in den Raum. „Trotzdem ist die Europäische Union eine Erfolgsgeschichte und es liegt an uns, ob und wie weit wir die europäische Einheit in Vielfalt und ein von Rechtsstaatlichkeit geprägtes Zusammenleben in einer Gesellschaft der Verschiedenen verteidigen.“

Eine gänzlich andere – philosophische – Herangehensweise an aktuelle Geschehnisse wählt der deutsche Philosoph, Kulturwissenschaftler und Publizist Peter Sloterdijk. In seinem neuen Buch „Die Reue des Prometheus“ stellt er die Figur des Prometheus an den Anfang, der die Menschen geliebt hatte. „Prometheus ist nicht nur eine mythologische Figur, die den Griechen geholfen hat, bestimmte kulturelle Errungenschaften zu interpretieren. Es gibt keine kulturelle Erfindung ohne den Erfinder. Entweder waren es Götter oder Kulturhelden, diejenigen, die den Menschen geholfen haben, ihren menschenspezifischen Lebensweg zu finden“, holt Sloterdijk aus. „Die mythischen Erzählungen haben immer eine erklärungsökonomische Seite und wenn man sie anhört, hat man den Eindruck, dass man die Wirklichkeit besser versteht, da immer eine Herkunft miterklärt wird“, so Sloterdijk, der damit eine Brücke ins Jetzt schlägt.

Mythos des Prometheus

„Es scheint mir naheliegend, auch unsere Sorgen im Rahmen einer größeren Erzählung zu lokalisieren und so habe ich den Mythos von Prometheus ein Stückchen weitererzählt“, setzt Sloterdijk fort. „Sein Schicksal war zuerst sehr düster.“ Prometheus hatte zudem die Vision und die große Intuition, dass die Olympische Ära nicht alles sein werde, was existiert. Ähnlich erging es der Menschheit, die einige tausend Jahre kaum invasiv auf der Erde lebte, und seit der Erfindung der Dampfmaschine und der Elektrizität immer rascher in immer neue Zeitalter eintritt. „Wenn man den Ausdruck Anthropozän korrekt verteidigen wollte, müsste man auf die älteste Zone der Erdgeschichte, auf die Pflanzenherrschaft beginnend von vor einer Milliarde Jahre, hinweisen“, so Sloterdijk weiter. „In unseren kurzen, historischen Sekunden, die wir auf der Erdoberfläche verbringen, werden diese Relikte zurückgespeist in die geschehende Geschichte.“ Und bemüht in seinem Werk die Metapher von „brennenden unterirdischen Wäldern“ für die Verfeuerung fossiler Brennstoffe.

Ein postimperiales Projekt

„Wie lautet in einer dramaturgischen Perspektive die Antwort auf die Frage nach der europäischen Identität?“, zieht der Philosoph Parallelen. „Die Antwort würde heißen: Europäer ist, wer an dem postimperialen Projekt einer nicht mehr kriegerisch orientierten Koexistenz europäischer Staaten teilnimmt.“ Die eigentliche, harte Kulturgrenze setzt Sloterdijk an der polnischen Ostgrenze fest: „Dahinter betritt man altes, imperiales Territorium, in dem die Konversion zu einer postimperialen Denkweise nie expressis verbis vollzogen wurde.“ Doch kann die Europäische Union die Lösung sein? „Fürs Erste ja. Seit dem Ausscheiden der Briten bilden die Europäer ein Kollektiv von etwa 450 Millionen Menschen, die sich über 40 verschiedene Nationen verteilen“, ist Sloterdijk überzeugt.

Fakten

Die steirischen Pfingstdialoge „Geist & Gegenwart“ wurden 2005 auf Schloss Seggau in der Südsteiermark ins Leben gerufen und sind eine Veranstaltungsreihe des Club Alpbach Steiermark in Zusammenarbeit mit dem Land Steiermark und der Diözese Graz. Der diesjährige 11. Pfingstdialog stand unter dem Motto „The European Way of Life. Anspruch und Wirklichkeit.“


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