175 Jahre „Die Presse“

Links, rechts, in der Mitte

Journalismus 1848. Der einzig gangbare Weg in dem ideologischen Wirrwarr: Man vertritt die Interessen der gemäßigten liberalen Mitte.

Bei Spaziergängen stieß der Wiener von 1848 ständig auf eine Unzahl von Zeitungsverkäufern. Das „Fratschelweib“ oder die „Standlerin“ sattelten von Salathäupteln auf Zeitungen um, der Platz um den Stephansdom glich offenbar einem riesigen Zeitungskiosk. An manchen Tagen konnte man hier einen Mann sehen, der ein Bündel von Zeitungen unter dem Arm trug und sich unter die Marktschreier reihte. Dabei wirkte er eigentlich wie ein bürgerlicher Unternehmer, war sorgfältig gekleidet und hatte eine gepflegte Sprache. Es war August Zang, der Herausgeber der „Presse“, der sich nicht zu gut war, um sein Produkt selbst unter die Leute zu bringen. „Ich verkaufe Publicität!“, sagte er, wenn er gefragt wurde. Offenbar meinte er: So wie andere Kohle oder Gemüse verkaufen.

Wenn jemand in Wien damals imstande war, eine Zeitung auf dem Markt durchzusetzen, war es dieser Selfmademan, der alle ökonomischen Tricks beherrschte. Man kann getrost sagen: Ohne August Zang keine „Presse“. In Revolutionszeiten war eine Zeitung nicht von ihrem Gründer und Initiator zu trennen. Anders die Situation in ruhigeren Zeiten: Die in einer friedlichen Epoche gegründete „Neue Freie Presse“ erwarb sich als Gesamtprodukt einen Namen, der jeweilige Herausgeber oder Redakteur zählte deutlich weniger.

Mit Leopold Landsteiner hatte „Die Presse“ einen Chefredakteur (damals „Hauptredakteur“), der imstande war, eine Zeitung auch wirklich zu redigieren. Er war durch die Schule des französischen Journalismus gegangen und wirkte nun im Wien von 1848 mit seiner Besonnenheit wie ein Fels im wogenden Meer. In einer Zeit, in der jeder, der sich für den Journalismus berufen fühlte, ungehindert zur Feder greifen konnte und seine Vorstellungen von der völligen Reorganisation des Kaiserstaates unter die Leute bringen konnte, war er eine Autorität. Keiner, der ihn nicht respektierte, er wirkte wie ein Pariser Literat.

Landsteiner entwickelte die Blattlinie. Sie hieß: Reform, Reform der gesamten staatlichen Sphäre mit dem Ziel, den Vielvölkerstaat an der Donau mit neuem Leben zu durchfluten und dem Fortschritt des modernen Zeitalters anzupassen, anzukämpfen gegen die ganze bürokratische Verstocktheit, die sich breitgemacht hatte.

Die Blattlinie: Reform, Reform

Doch auch nach links, gegen die Revolutionäre, musste man sich abgrenzen, denn sonst hätte man das Zielpublikum, die breite bürgerlich-gebildete, gemäßigt-liberale Leserschicht nicht erreicht. Dort hatte man nämlich sehr bald genug von den marktschreierischen, linksradikalen Revolutionsblättern, zugleich wollte man aber nicht zurück zur rein schöngeistigen Biedermeierpublizistik.

Man war schließlich durch die Revolution politisiert worden und froh, die Zeit der geistigen Knebelung hinter sich gelassen zu haben. Aber dass die radikaldemokratische Journalistik souverän den Blätterwald zu beherrschen drohte, war vielen unheimlich. Sie sahen das steuerlose Staatsschiff schon in Richtung Anarchie treiben.

Also wählte „Die Presse“ eine die Mitte haltende, politisch gemäßigte Haltung und zeigte Abscheu gegenüber den Extrempositionen. Sie tat das kund durch eine betont seriöse Aufmachung und eine anspruchsvolle Sprache. So hielt die Zeitung Kurs, wurde zum Flaggschiff der gemäßigt-liberalen Publizistik, eingekeilt zwischen der Scylla der immer noch reaktionären Regierungspolitik und der Charybdis der feindseligen linksrepublikanischen Konkurrenzblätter.

Mit ihnen lieferte sich „Die Presse“ wilde Gefechte, da verschonte keiner den anderen. „Hütet Euch! Kauft ja nicht das Tageblatt Die Presse“, warnte ein Flugblatt Mitte Juli 1848: „Dieses Blatt hat nicht die Absicht, das Volk zu belehren, nein, es will die Sache der Reaction verfechten, es ist und will schwarzgelb sein . . . Würdige Bewohner Wiens! Lasset Euch durch das große Format dieser Zeitung nicht verlocken, sie zu kaufen! Dieses ist kein Blatt für Euch, kein Blatt zur Aufklärung des Volkes. Es ist eine Censur! Ihre Basis ist Reaction, und ihr infernalischer aristokratischer Gestank dampft aus dem Riesenkreuzer-Folio.“ Das liefert einen mehr als deutlichen Einblick in die Sprache und den Stil, mit dem damals Pressefehden ausgetragen wurden.

Wenn er angegriffen wurde, griff der Herausgeber, Zang, selbst auch zur Feder. Um nicht in den Verdacht der Reaktion zu geraten, ließ er schon im ersten Leitartikel seine Zeitung als „Journal der reinen Demokratie“ ankündigen und stellte an die Spitze jeder Nummer das Motto „Gleiches Recht für Alle!“. „Wir sind Demokraten im eigentlichen Sinn des Wortes, wir lieben das Volk, aber wir achten es auch, wir sind der Überzeugung, dass die große Pflicht der Presse darin besteht, die Geister in das öffentliche Leben einzuführen, dem Bürger des erneuten Staates unparteiisch strenge die Wahrheit zu zeigen und zu sagen, und durch Belehrung aller Klassen eine Art geistiger Gleichheit anzustreben, ohne welche die Gleichheit vor dem Gesetze, dieser heiligste Grundsatz unserer Zeit, fast immer Täuschung wird.“ Doch die Kritik nahm manchmal solche Ausmaße an, dass Wiener Kaffeehäuser nicht wagten, die „Presse“ aufzulegen.

Man sieht: Konnte der Franzose Girardin seine Leser noch mit der Chronique scandaleuse und dem Feuilletonroman ködern, so gab es im Wien von 1848 nur eine Möglichkeit: politische Originalität und Aktualität. Die Unterhaltungsliteratur, im Vormärz die einzige Quelle des publizistischen Getriebes, war ein Stiefkind der Revolutionspublizistik geworden und trug nun den Makel der Rückständigkeit und Albernheit. Aktualität bedeutete: rasches Handeln, unverzügliche Stellungnahme zu den Tagesproblemen, konsequente Haltung, zusätzlich zu den publizistischen Qualitäten.

Politische Schulung der Leser

Damit erlangte „Die Presse“ in Wien ein Alleinstellungsmerkmal. Sie wurde, und das war den Zeitgenossen bald klar, „in ihrem Auftreten, in ihrem Urtheil, in ihrer Sprache anders als alle andern“, so Freiherr von Helfert in seiner „Wiener Journalistik im Jahr 1848“. Die Marktlücke, die sie füllte: Eine Zeitung, die sich nach allen Seiten hin Unabhängigkeit bewahrte, keiner Partei, keiner Finanzgruppe, keiner Regierung gegenüber Verpflichtungen einging und trotzdem eine politische Farbe, nämlich ihre eigene, besaß, hatte es in Wien bisher nicht gegeben. Es bedurfte vielleicht einer gewissen politischen Schulung der Leser, um diese Vorzüge herauszuspüren.

Rein äußerlich wirkte die Zeitung konventionell, seriös, konservativ, ohne billige Effekte und schreiende Aufdringlichkeit. Das Folioformat war in Wien bereits bekannt. Umso beachtenswerter ist der Anklang, den die Zeitung bei der Wiener Bevölkerung fand, sie hatte bald 15.000 Leser, und dies, obwohl die gehobene Sprache der Redakteure den einfachen Lesern aus dem Volk Schwierigkeiten bereitete, die ansonsten wegen des niedrigen Kaufpreises empfänglich gewesen wären.

Doch die Zeitung bekannte sich dazu, nicht aus Blasiertheit und Arroganz, sondern aus dem Gefühl der Noblesse heraus, die nicht ganz frei von pädagogischen Tendenzen war: „Der Volksfreund zeigt sich nicht darin, dass er die literarischen Handschuhe auszieht, sich Schwielen an die Feder schreibt, die zu exponierenden Begriffe in den vulgärsten Ausdrücken hinstellt . . . Wir wiederholen es, ein Volk bilden wollen, indem man zur Gemeinheit des Ausdrucks heruntersteigt, scheint uns ein viel ungeeigneterer Weg, als dieselben Begriffe in einer Weise vorzulegen, zu der es sich hinaufschwingen, an der es sich heranbilden soll.“

Im Leitartikel und Feuilleton wird der feste Wille der Redaktion dokumentiert, keinen Einflüsterungen von irgendeiner Seite nachzugeben.

Blattlinie

„Die Presse“, von August Zang gegründet, erschien erstmals am 3. Juli 1848. Ihr Alleinstellungsmerkmal: Eine Zeitung, die sich nach allen Seiten hin Unabhängigkeit bewahrte.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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