175 Jahre „Die Presse“

Überirdisch unterirdische Schönheiten

Postojnska Jama
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Slowenien. 15.000 Höhlen gibt es im Nachbarland und jedes Jahr werden Hunderte neue entdeckt.

Wenn das so weitergeht, zählt Slowenien bald mehr Höhlen als Einwohner. Derzeit sind es rund 15.000, und jedes Jahr werden 400 bis 500 neue entdeckt. Höhlen wohlgemerkt. Oft bei Straßen- oder Bahnarbeiten, jüngst kamen gleich drei große Höhlensysteme auf einmal zum Vorschein. Es sind Pforten in die Unterwelt, mythische Orte. Es sind faszinierende geologische Phänomene, in denen die Zeit selbst anschaulich wird. Und es sind Sehenswürdigkeiten ersten Ranges.

Opulente Unterwelt

Als Sigmund Freud 1898 die Höhle von Divača besuchte, war diese ungleich bekannter als er. Eines der großen Naturwunder der Monarchie, praktischerweise direkt an der Südbahn gelegen, die Wien mit Görz und Triest verband. Dank ihr konnte der junge Arzt übers Wochenende eine Spritztour an die Adria unternehmen. Später kehrte sich das Verhältnis um: Während Freud als Erforscher seelischer Abgründe weltberühmt wurde, stellten andere, noch spektakulärere Höhlen die von Divača in den Schatten. Heute verzeichnet sie gerade einmal 4000 Besucher im Jahr, das schafft Postojna an einem guten Nachmittag.

Katja Tominec will das ändern. Während sie das eiserne Gittertor aufschließt, betont sie, dass die Karstlandschaft zwar arm erscheinen mag, „an Natur- und Kulturerbe ist sie reich“. Und während an der Oberfläche Mangel herrscht, präsentiert die Unterwelt sich opulent. Nach wenigen Schritten schon empfängt die Besucher ein riesiges Vestibül, in das durch einen Schacht in der Decke noch etwas Tageslicht fällt. In heißen Sommern wurde es als Tanzsaal genutzt. Daran wollen Katja und ihre Mitstreiter wieder anknüpfen, indem sie Divača als „Boutique-Höhle“ vermarkten, als einen schicken, intimen Naturschatz, in dem, angefangen mit dem Fotografieren, so manches möglich ist, was in den großen Schauhöhlen untersagt bleibt. Sie laden Musiker und Künstler ein, sich mit diesem Ort auseinanderzusetzen; kürzlich wurden Lautenklänge, Schamanentänze und Partisanenlieder dargeboten. Auch Hochzeiten oder Weinproben finden hier statt.

Kleine schwarze Päckchen baumeln von der Decke – Fledermäuse. Im Eingangsbereich wurden etliche Tropfsteine als Trophäen abgebrochen, auch das ein Stück Tourismusgeschichte. Dabei brauchen sie gut 100 Jahre, um auch nur einen Zentimeter zu wachsen. Und doch sind manche dieser Ungetüme hier turmhoch. Leicht abschüssig führt der Weg ins Innere der Erde – eine Welt, wie von Jules Verne erdacht. Ringsum bizarre Galerien, funkelnde Steingärten und glitschige Felsengotik. Die Namen der Formationen – Zypresse, Hölle, Bambuswald – stammen noch von Gregor Žiberna, der die Höhle 1884 entdeckte, indem er sich an einem Hanfseil ins Ungewisse hinabließ, eine Kerze hinters Ohr gesteckt. Modelliert wurden alle diese Karstgrotten von unterirdischen Flüssen, die sich immer tiefer ins Kalkgestein gruben. Im Falle von Divača war es eine Vorläuferin der Reka.

Unterirdische Wasserfälle

In der Höhle von Škocjan, die gleich nebenan liegt, gibt es nicht nur zwei Dutzend unterirdische Wasserfälle, sondern auch die mit fast 150 Metern tiefste unterirdische Schlucht Europas, auf deren Grund die Reka tost. Nach starkem Regen schwillt sie an, überflutet den Rundweg und erreicht an manchen Stellen gar die Decke. Dann ist es drinnen totenstill, ein Ort, der das Gruseln lehrt. „Der reinste Tartaros“, befand schon Freud. Der weite Weg der Reka ist unerforscht, Fragezeichen zieren die Karten. Erst unweit von Triest tritt sie als Timavo ans Tageslicht.

Die Königin unter Sloweniens Höhlen aber ist die von Postojna. Schon im Mittelalter war diese klandestine Welt bekannt, später verschanzten sich die Dorfbewohner hier vor den Türken. Im Lauf der vergangenen 200 Jahre wurden dann immer neue Abschnitte und Verzweigungen erschlossen. Das gesamte Höhlensystem umfasst 24 Kilometer, wenn ein größeres Verbindungsstück geöffnet wird sogar 38. Die ersten vier sind die leichtesten, denn Sloweniens einzige U-Bahn, eine Art Grubenbahn, karrt die Besucher durch einen Stollen, der, wie es heißt, hoch genug ist, dass auch Basketballer sich nicht den Kopf stoßen. Dennoch ziehen ihn fast alle nach Schildkrötenart ein. Wie eine Geisterbahn auf dem Jahrmarkt schnurrt die gelb-rote Raupe durch düstere Hallen und mulmige Verliese, hinter jeder Kurve lauern neue, schaurig-schöne Steingebilde: stehende Mumien, feiste Quallen, erstarrte Trauerweiden. Andere erinnern an Schloss Neuschwanstein, an den schiefen Turm von Pisa oder den Orgelprospekt in einer Kathedrale. Henry Moore rühmte sie als die meisterhaftesten Skulpturen der Natur, die er je gesehen hätte.

Grottenolme als Souvenirs

Schon früh hat man erwogen, die Karsthöhlen als natürliche Tunnel oder Röhren zu nutzen. So nahm die Höhlenforschung Mitte des 19. Jahrhunderts hier überhaupt ihren Anfang: Ingenieure wollten Trinkwasser nach Triest leiten. Damals wurde sogar überlegt, ob nicht die Südbahn von Wien her eine Abkürzung durch die vielen Höhlen nehmen könnte. Doch nur die Grubenbahn wurde verwirklicht.

Lange Jahre verfügte Postojna über ein unterirdisches Postamt; inzwischen hat der Souvenirladen diese Aufgabe übernommen. Ansonsten führt er Sliwowitz und Schokolade sowie mannigfache Varianten des Grottenolms als Stoff- und Plastiktier.

Formen der Ewigkeit

In einem dämmrigen Aquarium kann man dieses Fabelwesen auch in echt besehen. Aufschneiderische Bezeichnungen wie „Drachenjunges“ oder gar „Höhlenkrokodil“ wecken falsche Vorstellungen: Was sich da über das Kieselbett schlängelt, ist ein etwas aus der Art geschlagener Regenwurm in fahlem Rosarot. Und doch fungiert er als König der Unterwelt, denn alle anderen Wesen hier – Käfer, Asseln, Ruderkrebse – sind noch weit unansehnlicher als er. Früher wurde er als Schmankerl auf dem Fischmarkt in Triest verkauft, und Postojna führt ihn fröhlich im Wappen, ein Lindwürmchen in Altrosa, mit blauen, blinden Knopfaugen.

Höhlenführer Roman Bogataj berichtet, wie Astronauten in Sloweniens Höhlen ein Leben unter extremen Bedingungen simulieren. „Denn wenn Menschen je auf dem Mond oder Mars siedeln werden, dann am ehesten in Höhlen.“ Hier unten herrschen andere Maßstäbe, hier nimmt die Ewigkeit Formen an. An den großen Tropfsteinbildungen sind die aufeinanderfolgenden Eis- und Warmzeitalter ablesbar. Dafür entschwindet die Gegenwart. Wie viele Stunden ziehen wir nun schon durch dieses Labyrinth? Waren es vielleicht gar Wochen? Unter Tage kommt einem jedes Raum- und Zeitgefühl abhanden und die Höhlen kennen auch nur eine Jahreszeit, insofern die Temperatur jeweils dem jährlichen Mittel am Eingang entspricht. Je nach dessen Lage bestehen allerdings erhebliche Unterschiede. Herrschten in der Postojna-Höhle gut zehn Grad, so ist es in der Schwarzen Höhle, in die wir schließlich durch einen künstlichen Stollen gelangen, merklich kälter, da ihr Ein- und Ausgang ganzjährig im Schatten liegt.

Euphorie an der Oberfläche

Zeigt sich dort vorn nicht ein Schimmer, eine Idee von Grau im Schwarz? Wir tappen darauf zu, und die Finsternis weicht. Ein grüner Akkord empfängt uns, eine Offenbarung aus Farbe, Licht und Wärme. Astronauten auf Zeit feiern wir die Rückkehr auf unseren Heimatplaneten, saugen euphorisch den Duft von Humus, Moos und Kräutern ein und streicheln ordinären Efeu wie ein kostbares Geschenk. Eine Lerche trällert – wie könnten wir je genug davon bekommen?

Untertage in Slowenien

Etwa zwei Dutzend Höhlen sind erschlossen: www.slovenia.info

Divača: www.divaska-jama.info

Škocjan: www.park-skocjanske-jame.si

Postojna: www.postojnska-jama.eu

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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