Culture Clash

Wenn die Mächtigen auf die Machtlosen hinunterschauen

Weil sie deppert sind? Nach den AfD-Wahlsiegen: Warum es eher ein Teil des Problems als der Lösung ist, Rechtswähler mit öffentlicher Pauschalverachtung zu strafen.

Mein Schwiegervater, ein Meister verdichteter Lebensweisheiten, hat eine bestechende Welterklärungsformel: Warum drängen Leute von hinten, obwohl der Einlass noch versperrt ist? Warum bleiben sie unmittelbar am Ende einer Rolltreppe stehen? Warum geben sie ihre Kinder in fremder Leute Obhut, um bis zum Burnout zu schuften, um sich Sachen zu leisten, die sie nicht glücklich machen? „Weil sie deppert sind.“ Die Formel ist oft verblüffend. Und doch ist sie falsch, wenn man sich selber nicht auch als Teil der Deppen-Menschheit begreift (obwohl sie dann besonders attraktiv ist, weil sie einen mit der Freude an der Überlegenheit belebt).

Wenn ich mir Postings zur erstmaligen Wahl eines AfD-Landrats und eines AfD-Bürgermeisters in den vergangenen Tagen anschaue, merke ich, dass die Formel meines Schwiegervaters zur Erklärung dieser Wahlergebnisse verbreitet Anwendung findet: weil sie deppert sind, die Rechtswähler. Ein Beispiel ist eine gern geteilte ironische Tortengrafik, die die zwei angeblich häufigsten Wünsche von „Rechtsextremen“ zeigt. Erstens: „dass ihnen die da oben nicht sagen, was sie tun sollen“. Und zweitens: „einen starken Führer“.

Der Widerspruch ist aber nicht unbedingt einer. Es ist ein gut erforschtes Phänomen, dass Menschen, die sich als machtlos empfinden, sich bemächtigen wollen. Und das umso mehr, je quälender ihnen ihre Machtlosigkeit ist. Mir hat das ein prominenter Kriminalpsychologe ausbuchstabiert, als ich 80 junge Pakistanis aus der von ihnen besetzten Votivkirche herausverhandeln sollte. Wobei eine solche Bemächtigung der Machtlosen etwa auch in einer Geiselnahme oder eben in der Kür von Volkstribunen bestehen kann.

Fragen wir uns doch: Wieso fühlen sich so viele Menschen ausgerechnet in einer Demokratie machtlos? Was lässt sie so unter ihrer Machtlosigkeit leiden? Ein Teil der Antwort könnte sein, dass ihnen aus der Kaste der Erfolgreichen, also derer, die in der Demokratie Macht errungen haben, fortwährend vermittelt wird, dass sie dumm, ängstlich oder charakterlich verdorben (=Nazis) sind. Dass ihr Problem also nicht auf Fehlern in ihren Schlüssen oder auf unrealistischen Erwartungen beruht, sondern auf peinlichen Mängeln ihres Ichs.

Wenn die Mächtigen auf die Machtlosen hinunterschauen, ist das eine Gefahr für jedwede Herrschaftsform, auch für die Demokratie. Das ist keine Gesamterklärungsformel für den Erfolg von Parteien wie der AfD, aber doch relevant. Bleibt nur die Frage: Warum handeln dann so viele der Mächtigen auf diese Weise gegen ihre eigenen Interessen?

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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