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Arbeit braucht wieder mehr Wertschätzung

Alice Godderidge (Poloplast), Birgit Brunsteiner (Moderation), Franz Schellhorn (Agenda Austria) und online vertreten Martin Kocher (Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft) gingen der Frage nach: Gibt es mehr Arbeit als Menschen? 
Alice Godderidge (Poloplast), Birgit Brunsteiner (Moderation), Franz Schellhorn (Agenda Austria) und online vertreten Martin Kocher (Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft) gingen der Frage nach: Gibt es mehr Arbeit als Menschen? RLB OÖ, Andreas Maringer
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Talk@Raiffeisen. Der Fachkräftemangel hat längst alle Teile der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes erreicht und braucht dringend effektive Lösungen, damit Österreich wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleibt.

Die Raiffeisenlandesbank OÖ lud gemeinsam mit der Industriellenvereinigung (IV) traditionell zum Talk@Raiffeisen, um mit einem hoch dekorierten Podium über eines der brisantesten Themen zu diskutieren, das derzeit die heimische Wirtschaft beschäftigt: Haben wir mehr Arbeit als Menschen, die diese Arbeit bewältigen können? „Es bedarf dringend Rezepte und Lösungsvorschläge, wie Österreichs Wirtschaft diese Herausforderung meistert“, sagte Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank OÖ AG, in der Begrüßung zum Event.

EU-weit ist Österreich bei den unbesetzten Stellen führend. „Immer mehr Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften, parallel dazu sind immer weniger Menschen bereit, Vollzeit zu arbeiten“, beschrieb Birgit Brunsteiner die gegenwärtige Lage. Sie führte als Moderatorin durch den Talk, zu dem sie live vor Ort Alice Godderidge, CEO der Poloplast GmbH, und Franz Schellhorn, Direktor der Agenda Austria, begrüßte. Online war zudem Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, zugeschaltet, der mit einer Keynote-Rede die Basis für die Gesprächsrunde lieferte.

Ernst zu nehmende Lage

Laut OECD-Prognose wird die BIP-Wachstumsrate 2023 zwischen 0 und 0,5 Prozent liegen. Immerhin keine Rezession, aber schwaches Wachstum. Für 2024 wird ein Wachstum von 1,6 Prozent erwartet. „Vor zwanzig Jahren galt noch die Regel: Es braucht rund zwei Prozent Wachstum, um die Arbeitslosigkeitsrate stabil zu halten. Unter zwei Prozent steigt die Arbeitslosigkeit stark an. Aktuell sind wir weit unter zwei Prozent Wachstumsrate, dennoch nimmt die Arbeitslosigkeit nur leicht zu.“ Bundesminister Kocher brachte Zahlen und Fakten: Mit Ende Juni 2023 waren rund 10.000 Menschen mehr in Arbeitslosigkeit als im Juni 2022. Allerdings geht die Hälfte davon auf neu registrierte Ukrainer zurück, die im vergangenen Jahr noch nicht in der Statistik aufschienen. Für Kocher gibt es Spezialgründe für den geringeren Anstieg der Arbeitslosigkeit: „Etwa der Nachholeffekt der Pandemie. Viele Unternehmen, die vor zwanzig Jahren Mitarbeiter in wirtschaftlich schwierigen Zeiten abgebaut hätten, behalten sie nun, weil es bei wirtschaftlichem Aufschwung schwer wird, neue Fachkräfte zu gewinnen.“

Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich.
Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich.Andreas Maringer

Potenziale heben

Kocher sieht viel Potenzial, große Teile der arbeitslosen Menschen in Zukunft wieder dem Arbeitsmarkt zuzuführen, „Allein 22 Prozent der Arbeitslosenquote betrifft Menschen, die kurzfristig erwerbslos sind, weil sie sich zum Beispiel in Ausbildung befinden. 70 Prozent der arbeitslosen Menschen weisen Vermittlungsherausforderungen auf, wie gesundheitliche Einschränkungen, die sie nicht voll vermittelbar machen“, so der Minister.

»Es gibt viele Punkte, wo angesetzt werden sollte. Etwa bei der Schaffung weiterer Kinderbetreuungsplätze. Es müssen auch Anreize geschaffen werden, um Menschen länger in der Arbeitswelt zu halten.«

Heinrich Schaller

Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich

Dringenden Handlungsbedarf gibt es bei der Qualifikation. „Die Arbeitslosenquote ist gerade bei den ungelernten Arbeitskräften hoch, bei denen die Grundfertigkeiten fehlen“, sagte der Bundesminister und verwies auf die Arbeitslosenquote von Pflichtschulabsolventen, die mit 18,4 Prozent weit über der durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 5,7 Prozent liegt. Zudem sieht Kocher Potenzial bei der regionalen Verteilung. Beim Grad der Vollbeschäftigung gibt es von Bundesland zu Bundesland große Unterschiede. „Man wird mehr regionale Angebote schaffen müssen.“ In jedem Fall wird die Arbeitsmarktpolitik das Thema Fachkräftemangel nur mit einer Gesamtstrategie erfolgreich bewältigen können. Das beginnt bei der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, über eine optimierte Gesundheitsvorsorge, um Menschen länger im Arbeitsleben zu halten, bis hin zu einer besseren Integration und sinnvollere Regelungen, um migrierte Personen schneller in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Teilzeit beliebt

Mit der Erwerbsquote zeigt sich Kocher zufrieden: 77,5 Prozent aller Menschen im erwerbsfähigen Alter sind im Arbeitsmarkt aktiv. Die Zahl der Beschäftigten steigt kontinuierlich, nicht nur trotz, sondern gerade wegen der zunehmenden Digitalisierung. Aber es ist auch offensichtlich, dass immer mehr Menschen in Teilzeit arbeiten. Somit steigt das Arbeitsvolumen nicht weiter, sondern blieb die letzten Jahre eher konstant.

In Zahlen: In Österreich sind derzeit rund 1,3 Millionen Beschäftigte in Teilzeit. Das entspricht einem Drittel aller Erwerbstätigen. Wiederum ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten haben Betreuungspflichten, ein weiteres Drittel absolviert neben dem Job eine Ausbildung und rund ein Drittel aller Teilzeitkräfte haben sich aus persönlicher Präferenz für Teilzeit entschieden. Ein Phänomen, das Franz Schellhorn allein schon wegen der enormen Teuerungswelle nicht nachvollziehen kann. „Laut Hausverstand müsste man mehr arbeitet, um sich seinen Lebensstil weiterhin leisten zu können, aber aufgrund der staatlichen Unterstützungen bleiben diese logischen Reaktionen aus und man verlässt sich auf den Staat.“ Mitschuld tragen auch die Regierungen der letzten Jahre, die unabhängig vom Couleur dazu beigetragen haben, die niedrigen Einkommensbezieher steuerlich zu entlasten. „Dadurch ist Teilzeit immer attraktiver geworden“, sagte Schellhorn und befürchtet eine Fortsetzung dieses Trends, denn: Wer rechnen kann, wählt Teilzeit. „Entkräften ließe sich das nur durch eine steuerliche Entlastung der mittleren und höheren Einkommen. Aktuell werden diejenigen, von denen der Wohlstand abhängt, steuerlich eher benachteiligt“, so Schellhorn. Auch

Arbeitsminister Marin Kocher diskutierte mit Experten über die Zukunft der Arbeit.
Arbeitsminister Marin Kocher diskutierte mit Experten über die Zukunft der Arbeit.BMAW / Enzo Holey

Alice Godderidge staunte über den Trend zu noch mehr Teilzeit und wäre dafür, dass Personen, die ohne Betreuungspflichten freiwillig von Vollzeit auf Teilzeit wechseln, auch Konsequenzen bei den Sozialleistungen in Kauf nehmen müssten. Besonders schwer liegt ihr aber die gegenwärtige Einstellung der Menschen in Österreich im Magen: „Arbeit ist hierzulande fast ein Schimpfwort. Leistung muss wieder mehr wertgeschätzt werden.“ Kontraproduktiv ist da der (politische) Ruf nach einer 32-Stunden-Woche. „Betriebe, die Produktivitätsgewinne mit weniger Arbeitsleistung bewältigen können, sollen das tun, aber es darf keine allgemeine Regelung werden“, sagte Godderidge: „Viele Vollzeitbeschäftigte sind zu Recht verärgert, weil ihre Leistung mit solchen Forderungen völlig konterkariert wird. Hier sind die Politik und die Gesellschaft gefordert, dafür zu sorgen, dass in den Köpfen der Bevölkerung Wohlstand und Leistung zusammengehören.“

Anreize schaffen

Wie macht man Arbeit attraktiver, um Menschen in diesem Land wieder zu Vollzeitbeschäftigung zu bewegen? Klar ist, dass man die Jugend erreichen muss, andererseits darf man aber auch auf die älteren Menschen nicht vergessen. Österreichs Bevölkerung wird immer älter – im doppelten Sinn, einerseits im Altersdurchschnitt, andererseits auch von der Lebenserwartung. Beides sollte Konsequenzen in der Arbeitsmarktpolitik haben und etwa das Pensionsantrittsalter nach oben gesetzt werden. Im Jahr 2050 werden in Österreich rund eine Millionen mehr Menschen in Pension befinden als heute. Gleichzeitig wird es aber rund 300.000 weniger Erwerbstätige geben. Steht die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes auf dem Spiel? Der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft sieht Österreich gegenwärtig noch im grünen Bereich. „Wir erhalten uns die Wettbewerbsfähigkeit durch F&E und gut ausgebildete Fachkräfte, aber wichtig ist, dass man die Balance aufrechterhält. Aktuell kommen Herausforderungen wie Preissteigerungen und Energieversorgungsprobleme aufgrund des Ukrainekonflikts hinzu. Zusätzlich gibt es langfristige Herausforderungen wie demografischer Wandel und Dekarbonisierung. Diese Mischung birgt Risiken, aber auch Chancen“, so Kocher.

Die IV warnt jedoch schon lange vor einem Wettbewerbsverlust des Wirtschaftsstandorts Österreich. Godderidge und Schellhorn teilen die Meinung der IV: „Wir verlieren seit Jahren an Boden“, beobachtet Godderidge. „Allein innerhalb Europas nimmt die Wettbewerbsfähigkeit ab und es ist schon sehr lang absehbar, in welche Richtung der Trend geht, deshalb will mir nicht eingehen, wieso die Politik nicht längst reagiert und entgegengesteuert hat.“ Schellhorn nannte Fakten: „Wird Wien im Ranking zur lebenswertesten Stadt gekürt, wird das unentwegt betont, aber dass wir seit Jahren in den Rankings der Wirtschaftsfähigkeit maximal im Mittelfeld liegen, hat wenig Echo. Dabei liegen dort Länder voran, die von der Größe mit Österreich vergleichbar sind. Irland, Dänemark und Schweiz sind Spitzenreiter. „Ich vermisse das Bemühen, dass sich Österreich in diesen Rankings in die Top Ten spielen will“, meint Schellhorn. Die führenden Nationen in diesen Rankings haben mit ihren Maßnahmen durchaus Nachahmungscharakter. „In Dänemark wurde eine Arbeitsmarktreform durchgeführt, bei der man nicht nur fördert, sondern auch fordert, damit Menschen in Bewegung kommen und sich einen Job suchen. Und Irland lockt mit einer niedrigen Steuerpolitik internationale Unternehmen an und schafft Tausende neue Arbeitsplätze und -kräfte.“ Godderidge unterstrich: „Um als Standort für internationale Arbeitskräfte attraktiv zu sein, spielen Steuerabgaben eine entscheidende Rolle. In Branchen wie dem Pflegebereich wird es notwendig sein, attraktivere Rahmenbedingungen zu schaffen.“ Helfen könnte auch die Rot-weiß-rot-Karte, die reformiert dazu beitragen soll, qualifizierte Fachkräfte nach Österreich zu holen. Dazu braucht es aber auch das Image eines Einwanderungslandes für qualifizierte Arbeitskräfte. „Österreich hat eher bei den Sozialleistungen einen guten Ruf als Zuwanderungsland“, sagte Schellhorn. Klar ist, dass man dieses Ziel nicht über Nacht erreichen wird, aber es braucht den ersten Schritt, um auf lange Sicht dorthin zu gelangen. Nur dann ist Österreichs Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft gesichert.

Information

Die Podiumsdiskussion ist eine Kooperation von „Die Presse“ und Raiffeisenlandesbank OÖ. Mit finanzieller Unterstützung.


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