Kind und Karriere: Wie schaffen das eigentlich die Väter?

Kind Karriere schaffen eigentlich
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Es ist eine von Feministinnen verhasste Frage – jene, wie frau denn Kinder und Karriere unter einen Hut bekommt. Man kann sie aber auch Männern stellen – und bekommt dabei interessante Antworten. Zum Beispiel von drei Freiberuflern aus der Filmbranche.

Martin Putz denkt nach. Intensiv. Wenn man wissen will, wie das anfangs und auch jetzt mit seiner nun sechsjährigen Tochter Lucina war und ist, macht er sich Gedanken. Danach erzählt er, ausführlich und sehr offen. Als seine Tochter auf die Welt kam, war er 40 Jahre alt und erst wenige Wochen von der Mutter seiner Tochter getrennt. Bevor er über das Kind spricht, erwähnt er die berufliche Situation – als Kameramann ist es üblich, ein paar Wochen und Monate frei zu haben, um dann eine längere Zeit am Stück zu arbeiten. Und er spricht über seinen Vater. Wenn man so will, verdankt die kleine Lucina ihrem Großvater einen aufmerksamen Vater, der sich Zeit für sie nimmt. „Ich hatte sehr wenig Bindung zu meinem Vater, weil er extrem viel gearbeitet hat. Ich habe gewusst, dass mir das heute noch in den Knochen sitzt“, sagt Putz. „Es war mir ein Wunsch und ein Anliegen, das anders zu machen.“
Später wird er noch sagen, dass er vermutet, er hätte sich genau deshalb bei einem Sohn wohl schwerer getan. „Das ist irre, aber es wären wahrscheinlich Gefühle hochgekommen, die mich an meine eigene Zeit als Baby erinnert hätten, als man mir nicht so viel Wahrnehmung und Zuneigung gegeben hat, wie ich meiner Tochter zugestehe. Da wäre das Kind in mir vielleicht eifersüchtig.“

Aber zurück zu Lucina. In den ersten beiden Jahren hat Martin Putz in seiner Arbeit zurückgesteckt, um für die Kleine da zu sein. Von ihm hört man nichts Schlechtes über die Mutter des Kindes, die beiden verstehen sich, sind sich in Erziehungsfragen einig, und er ist ihr für das Vertrauen, das sie ihm gibt, dankbar. „Ich rechne es ihr hoch an, dass sie mich mit einem sechs Monate alten Kind hat wegfahren lassen, dass wir, als Lucina drei war, nach Spanien fliegen konnten.“ In den ersten drei Monaten wohnten alle drei zusammen, danach verbrachte er stundenweise Zeit mit seinem Kind. „Die Mutter hat auch ein paar Stunden am Tag Pause gebraucht, also habe ich Lucina sechs oder acht Stunden gehabt.“

Eine Luxusfrage. Karenzgeld – das es für Väter übrigens seit 1990 gibt – hat der Freiberufler nicht bezogen. Im ersten halben Jahr hat er überhaupt nicht gearbeitet, dann kamen ein paar kleine Projekte hinzu. Erst als Lucina zwei Jahre alt war, hat Putz mehr gearbeitet. „Es ist eine Luxusfrage. Ich verbrauchte in den ersten zwei Jahren ungefähr 40.000 Euro, die hatte ich gerade. Wenn du die nicht hast, kannst du nicht Vater sein.“ Ein bisschen unwohl fühlte er sich anfangs schon dabei. Immerhin ergibt sich als Kameramann der nächste Job meist beim Dreh vom vorigen. „Es war frustrierend, ich hatte das Gefühl, ich wäre da komplett weg und sollte das beruflich eigentlich nicht machen.“
Einen Chef von der familienbedingten Auszeit überreden musste Putz dank Selbstständigkeit nicht. „Das war kein Thema. Wenn man einen Job nicht macht, ist es jedem egal, warum nicht.“ Generell sei die Akzeptanz in der Filmbranche hoch – wobei, das gilt eher nur theoretisch. „In intellektuellen Kreisen ist die Akzeptanz zwar groß, wenn es aber ums Geschäft geht, um die Wirtschaft und um größere Produktionen, dann nicht. Die sind erst recht von jenen Männersystemen besetzt, die eine niedrige Akzeptanz- und Toleranzgrenze haben.“

Wenig Akzeptanz gab es auch von einer anderen Seite: von seiner Mutter. Die konnte nicht recht damit umgehen, dass der Sohn sich so intensiv um seine Tochter kümmert, und machte sich Sorgen um seine Existenz. Auch Misstrauen gab es. Etwa von der alten Nachbarin, die meinte: „Was machen Sie den ganzen Tag mit dem Kind in der Wohnung? Wo ist die Mutter?“ Ansonsten wird er in der Öffentlichkeit als Vater meist positiv aufgenommen. „Man hat es als Vater leichter mit einem Kind in der Öffentlichkeit als eine Mutter.“
Heute ist Putz ein „klassischer Wochenendpapa“, wie er es nennt. Zwei bis drei Tage pro Woche lebt Lucina bei ihm. „Es klingt wie eine Ausrede, ist es vielleicht auch, aber ich bin der Wunscherfüller. Wenn sie bei mir ist, habe ich exklusiv für sie Zeit. Das ist für mich der einfachste Weg, aber ich weiß, dass es ein Qualitätsverlust ist, weil uns der Alltag und die Routine fehlen. Wenn sie sieben Tage pro Woche bei mir wäre, würde sie auch eine andere Seite von mir kennen. Exklusivität ist zwar auch ein Wert, aber auch eine Realitätsverfälschung. Was das später mit ihr machen kann, in ihrem Leben, in ihrem Bindungsverhalten, weiß ich nicht, aber es gibt einen Punkt, an dem ich nicht für alles verantwortlich sein kann.“ Er weiß, dass seine Tochter nicht mitbekommt, wie Vater und Mutter gemeinsam leben, Konflikte austragen. Andererseits denkt er aber, dass er sich vielleicht weniger um Lucina gekümmert hätte, wenn die beiden nicht getrennt wären.

Jeder tut, was er kann. All diese Fragen stellt sich Michael Sturminger nicht. Fragt man den 50-Jährigen nach seinem Vaterdasein, hat man das Gefühl, bei ihm war alles selbstverständlich und lief automatisch. Der Regisseur und Autor – der für Film, Theater und Oper arbeitet – hat mit seiner Frau Renate Martin-Sturminger, einer Filmausstatterin, drei Kinder: Paul (23), Marie (20) und Jakob (12). Das Paar ist seit mehr als 30 Jahren zusammen. Als das erste Kind kam, studierten beide noch. Anfangs wohnten sie in einer Wohngemeinschaft. Als ein Bewohner auszog, zog das Au-pair-Mädchen der jungen Eltern ein. „Wir hatten immer ein Au-pair-Mädchen. Als die Kinder gekommen sind, haben wir gleichzeitig zu arbeiten begonnen“, sagt Sturminger.

Es war für beide Elternteile klar, dass jeder tut, was er kann. Einen Plan hatten sie nie. Auch keinen Streit, dass der eine oder die andere zu wenig tut. „Das können wir. Wenn der eine einmal den Sohn nicht vom Fechten abholen kann, hat das einen Grund. Wir hatten nie Probleme damit, wer das Frühstück macht, weil sich beide zuständig und verantwortlich fühlen.“ Mehr Zeit in die Kinderbetreuung investiert hat jeweils derjenige, der gerade beruflich weniger zu tun hatte. Von 50:50 wollen die beiden nicht reden – „eher abwechselnd 100 Prozent“. Bis auf die letzten drei Jahre, in denen es für ihn beruflich besonders gut läuft und der Jüngste in der Schule gerade ein bisschen mehr Unterstützung braucht (die von der Mutter kommt), war es immer recht ausgeglichen. Das liege aber auch an der Position der Freischaffenden. „Mit einer Anwesenheitspflicht wird das sehr schwierig.“ So wurde eben auch im Urlaub gearbeitet oder getrennt auf Urlaub gefahren. „Wir hatten es immer sehr schön mit den Kindern. Zu kurz gekommen ist vielleicht die Zeit für uns beide“, sagt Renate Martin-Sturminger.

Babysitter mit zwölf Jahren.
Auf die Frage, wie die beiden das so gut geschafft haben, antwortet sie: „Disziplin! Aber die Frage hat sich einfach nicht gestellt, es war zu schaffen.“ Er meint: „Wir mussten immer das Geld verdienen, das wir schon ausgegeben haben. Und wir haben wohl gute Nerven und ein gewisses Vertrauen, dass es sich ausgehen wird.“

Sich um Kinder zu kümmern ist für Sturminger das Normalste auf der Welt. „Als das erste Baby kam, war es völlig klar, dass wir es beide wickeln. Ich habe ja auch schon die Kinder meiner Schwester gewickelt und mit zwölf mein erstes Geld als Babysitter verdient“, sagt Sturminger. Den Job hat er von der fünf Jahre älteren Schwester übernommen. „Da war ich reich, da habe ich viel Geld verdient und konnte mir dadurch viele Schallplatten kaufen.“ Ob es seltsame Reaktionen auf die Art und Weise des Familienlebens gegeben hat, können die beiden nicht beantworten. „Das hat uns nie interessiert. Manche Leute haben sich gewundert, aber man kann sich nicht darum kümmern“, sagt Martin-Sturminger.
Sturmingers Vater übrigens war ganz „old school“, wie er es nennt. „Das hat uns nie gestört, aber es war völlig klar, dass das bei unserer Generation ganz anders sein wird.“ Warum eigentlich? „Weil“, so die Antwort, „dazwischen 1968 war.“

Kinder erden. Von dem ist bei Stefan Ruzowitzky zumindest auf den ersten Blick wenig zu spüren. Der Regisseur und Oscar-Preisträger („Die Fälscher“) lebt mit seiner Frau und den beiden Töchtern (13 und 16) die klassische Variante. Er macht Karriere, sie kümmert sich um „langfristige logistische Sachen“ und verdient mit einem Geschäft für Secondhandmode ein bisschen etwas dazu. „Es hat sich so ergeben, aber es ist klar, wo die Kohle herkommt. Ich weigere mich, deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Es ist eben so, vor tausend Jahren hätte ich eben den Säbelzahntiger nach Hause gebracht“, sagt der 51-jährige Filmemacher. Wobei, ganz so ergeben hat es sich dann doch nicht. Als seine Frau über Kinder sprach, stellte er gleich einmal fest: „Familie gern, aber mir ist die Karriere jetzt auch sehr wichtig.“

Wichtig ist ihm auch zu betonen, dass er sich das mit seiner Frau einvernehmlich ausgemacht hat. Ein bisschen ist er aber auch davon überzeugt, dass eine(r) zurückstecken muss. „Ich habe von einer Studie gelesen, dass zwar nicht das klassische Modell das beste ist, aber jenes, wo es möglichst klar ist. Das glaube ich.“ Fragt man ihn nach dem Vatersein, spricht er von dem Versuch, einen Mensch charakterlich zu formen, der dann doch meist nicht so klappt, wie man sich das vorstellt. „Als Kreativer hat man eine gewisse Egozentrik. Als Emma auf die Welt kam, wurde mir klar, dass es im Leben vielleicht doch nicht nur um mich geht und darum, wie toll ich bin. Kinder erden. Das merkt man auch bei Schauspielern. Die mit Familie sind zehn Mal einfacher.“

Doch so unterschiedlich die drei Väter auch sind, in einem sind sie sich einig: dass es gut ist, Vater zu sein.

von Karin Schuh

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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