95 Wiener Würstler
''Wurst essen als emotionales Erlebnis''
Kulinarische Institution und klischeeüberladene Folklore. Ein neuer Bildband verewigt 95 Würstelstände.

"Um die Wurscht, da geht es nur am Würschtlstand, um die Wurscht und nichts als um die Wurscht! Um die Wurscht von uns'rer lieben Mitzi-Tant', Und bestenfalls noch die Biere gegen den Durst." Die EAV hat mit ihrem Loblied auf den "Würstelstand" den Wienern aus der Seele gesprochen: Der Würstler ist für sie kulinarische Institution und klischeeüberladene Folklore zugleich.
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Kunsthistoriker Sebastian Hackenschmidt und Fotograf Stefan Olah haben nun einen Bildband veröffentlicht, in dem 95 Exemplare des "Kleinen Sachers" - wie die Zweckbauten nicht nur in der Literatur genannt werden - bildlich verewigt sind. Bild: Stefan Oláh
Sebastian Hackenschmidt, Stefan Oláh

Olah setzt die Metall- und Holzbuden, die klingende Namen wie "Klasse Haße", "Rock'N'Wurst" oder "Würstelmausi" tragen, konsequent ungeschönt in Szene. Damit wird er der provisorischen Ästhetik vieler Hütten aber durchaus gerecht. Bild: Stefan Oláh
Sebastian Hackenschmidt, Stefan Oláh

Fotografiert hat der gebürtige Wiener, der erst kürzlich seine Aufnahmen der Stadtbahnbögen als Buchprojekt veröffentlichte, an den verschiedensten Ecken der Stadt - und zwar zu unterschiedlichen Jahres-, Tages- und Nachtzeiten.Bild: Stefan Oláh
Sebastian Hackenschmidt, Stefan Oláh

Wie Hackenschmidt in seinem Eingangstext schreibt, versteht sich die Publikation aber "weder als komplettes Verzeichnis sämtlicher Würstelstände der Stadt, noch als Typologie der verschiedenen Ausprägungen von Imbissständen" verstehe, sondern "einfach einen repräsentativen Querschnitt der derzeit in Wien existierenden Würstelstände".Bild: Stefan Oláh
Sebastian Hackenschmidt, Stefan Oláh

Sebastian Hackenschmidt setzt sich vor allem mit dem Würstelstand als soziokulturelles Phänomen auseinander, das zudem mit idiomatischen Eigenheiten aufwartet - siehe "a r ogschöde buanwuascht", die H.C. Artmann in seinem Gedicht "Wos an weana olas en s gmiad ged" würdigt.Bild: Stefan Oláh
Sebastian Hackenschmidt, Stefan Oláh

Der Historiker Leonhard Weidinger zeichnet indes die Geschichte der Würste nach. Das Geräucherte reiche bis zu Homer zurück, sei bei den alten Griechen durch Vasenmalereien dokumentiert und wegen ihrer "Symbolik dekadent-sexueller Ausschweifung" in Konflikt mit dem aufkommenden Christentum geraten. Und natürlich wird auch an Johann Georg Lahner, der 1805 die Frankfurter erfunden hat, wird erinnert. Die Frankfurter heißt außerhalb Österreichs übrigens "Wiener Würstchen". Sehr stimmig.Bild: Stefan Oláh
Sebastian Hackenschmidt, Stefan Oláh

Wenn es um die Wurst geht, geht es letztlich aber immer auch um Leben und Tod - zumindest laut dem "Eat-Art"-Künstler Daniel Spoerri: "Es geht bei diesem Gewürzten, Wirren, Zerstoßenen und Vermatschten um die Wurst; das heißt um die Haut, um den Darm, um den Schlauch, in den dieser Matsch gepresst wird; um ihn zu kochen, zu dünsten, zu braten, zu grillen - damit wir ihn wieder zerkauen, zerkleinern, um ihn noch einmal einem Darm einzuverleiben; ihn verdauen, auspressen, aussaugen, bis er wieder als Metawurst auferstehen und schleunigst verschwinden und weggespült werden kann."
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"Eine Wurst essen ist ein emotionales Erlebnis", schwärmt Josef Bitzinger. Er vertritt Bitzinger nicht nur die Gastro-Branche als Spartenobmann der Wirtschaftskammer, sondern besitzt darüber hinaus auch zwei Würstelstände: "Ich bin seit 40 Jahren im Geschäft", erzählt Bitzinger. Fast Food mit folkloristischem Anstrich gibt es hierzulande indes schon weit länger: "Das war bereits in der Monarchie Standard."
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Wie viel Würstelstände es in Wien genau gibt, ist schwer zu sagen. Die Wirtschaftskammer listet aktuell 441 Stände, wobei hier auch die Kategorie Kebap miteingerechnet ist. Denn eine genaue Spezifizierung gibt es nicht. Außerdem werden in der Aufstellung nur die Inhaber gezählt. Hat jemand mehrere Buden, wird er trotzdem nur einmal registriert.
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Als Abschluss ein Tipp von Fachmann: Wer eine Käsekrainer mit den Worten "A Eitrige" bestellt, outet sich nicht unbedingt als Kenner des Fachjargons, sondern eher als bekennender Witzbold. Das behauptet zumindest Peter K. (38 Jahre, Lieblingswurst: scharfe Käsekrainer), der seit acht Jahren bei "Alles Walzer alles Wurst" in Favoriten für das kulinarische Wohl seiner Gäste sorgt. Mahlzeit!
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