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Verantwortung

Wie KI hilft, besser mit Lebensmitteln umzugehen

Alle müssen beitragen, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Produzierende und verarbeitende Betriebe, der Handel und die Gastronomie. Eine wesentliche Verantwortung aber trifft die Konsumenten, meinten Alexandra Birkmaier (Fraunhofer) und Thomas Rudelt (METRO) im Rahmen des Forum Alpbach.
Alle müssen beitragen, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Produzierende und verarbeitende Betriebe, der Handel und die Gastronomie. Eine wesentliche Verantwortung aber trifft die Konsumenten, meinten Alexandra Birkmaier (Fraunhofer) und Thomas Rudelt (METRO) im Rahmen des Forum Alpbach.Jan Hetfleisch
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In Europa werden jährlich sagenhafte 88 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Ein Forschungsprojekt, an dem METRO Österreich beteiligt ist, soll helfen, Verschwendung einzudämmen.

Diese Zahl ist erschreckend: 88 Millionen Tonnen noch essbare Lebensmittel werden jedes Jahr in den Ländern der Europäischen Union verschwendet. Oder ganz direkt ausgedrückt: Sie landen im Müll. Mit dieser Zahl eröffnete Alexandra Birkmaier von Fraunhofer Austria Research ihre Keynote bei der siebten Ausgabe der Wiener Mittwochsgesellschaft des Handels – Edition Alpbach im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach. Und sie schoss gleich nach: „Wäre die Lebensmittelverschwendung ein Land, wäre sie nach China und den USA die drittgrößte CO2-Emittentin der Welt.“ Daneben entstehen den Unternehmen und Volkswirtschaften Kosten für die Produktion, den Transport, die Lagerung und das Handling. Und für die Konsumenten ist die Verschwendung ebenfalls durchaus kostspielig. Je nach Berechnung werfen sie pro Jahr zwischen 280 und 300 Kilogramm Lebensmittel weg, was einem Wert von 300 bis 400 Euro entspricht. Angesichts von 22 Prozent armutsgefährdeter Menschen unter den 450 Millionen Einwohnern der EU sind diese Zahlen noch einmal besorgniserregender.

Bei der Veranstaltung in Alpbach diskutierte Birkmaier gemeinsam mit Thomas Rudelt, Mitglied der Geschäftsführung und Direktor Einkauf & Supply Chain von METRO Österreich, und den Gästen der Runde zunächst die Problemfelder der Lebensmittelverschwendung, um später auch Lösungsansätze zu diskutieren.

Mit Daten mehr erreichen

Birkmaier leitet bei Fraunhofer Austria Research das Forschungsprojekt „Appetite“, das gemeinsam mit anderen Forschungseinrichtungen und einigen Handelsunternehmen – darunter METRO Österreich – untersucht, wie die Lebensmittelverschwendung durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) reduziert werden kann. „Appetite“ setzt bei veränderten Bestellvorgängen an und bezieht dabei interne Daten der Handelsunternehmen und externe Daten, beispielsweise Wetterdaten demografische Daten, Mobilfunk-Bewegungsdaten, mit ein.

„Wir wurden von Fraunhofer angesprochen, da wir zuvor bezüglich eines anderen Forschungsprojektes zu Rückverfolgbarkeit bereits im Gespräch waren“, sagt Rudelt. „Food Waste, also Lebensmittelmüll, ist seit vielen Jahren ein Thema bei METRO. Wir arbeiten seit Langem mit verschiedenen Tafeln, Too Good To Go etc. zusammen. Somit passt das Forschungsprojekt ,Appetite‘ gut zu unseren Interessen. METRO liefert derzeit historische Daten zu Warenabgängen, damit das Tool ,gefüttert‘ werden kann.“

Obst, Gemüse stark betroffen

Zurück zur Verschwendung: Frisches Obst und Gemüse landen zu gleichen Teilen am häufigsten im Abfall. Diese beiden Bestandteile des Lebensmittelwarenkorbs machen mehr als ein Drittel (34 Prozent) der Lebensmittel aus, die weggeworfen werden. 16 Prozent entfallen auf gekochte oder bereits auf andere Art zubereitete Lebensmittel. Knapp gefolgt von Brot und Backwaren: Sie machen 14 Prozent des Abfalls aus. Dahinter folgen Getränke (elf Prozent), Milchprodukte (neun Prozent), Fertigprodukte, Tiefkühlwaren und Konserven (sieben Prozent) und mit einem erstaunlich geringen Anteil frische Fleisch-, Wurst- und Fischprodukte. Auf den Rest entfallen fünf Prozent.

Bemerkenswert ist der Befund der Forschung darüber, wo innerhalb der Lieferkette in welchem Ausmaß Verschwendung passiert. In der Landwirtschaft sind es rund elf Prozent, in der Verarbeitung sind es 19 Prozent, im Groß- und Einzelhandel sind es überraschend nur fünf Prozent und zwölf Prozent entfallen auf die Gastronomie. „Für 53 Prozent der Lebensmittelverschwendung sind wir als Konsumenten verantwortlich. Das ist erschreckend“, sagt Birkmaier. Ganz aus der Verantwortung aber wollte sie – trotz des geringen Anteils – den Handel nicht entlassen: 1+1-gratis-Aktionen würden Konsumenten verleiten, mehr einzukaufen als benötigt.

Alexandra Birkmaier
Alexandra BirkmaierJan Hetfleisch

»88 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jedes Jahr in der EU verschwendet. Für 53 Prozent sind wir als Konsumenten verantwortlich. Das ist erschreckend.«

Alexandra Birkmaier

Fraunhofer Research Austria

Die Gründe und Ursachen, warum Lebensmittel verschwendet werden sind allerdings vielfältig. Birkmaier erwähnte etwa regulatorische Gründe. Der Handel dürfe zwar grundsätzlich Produkte verkaufen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht sei, doch ändere sich ab diesem Zeitpunkt die Haftungsfrage – da sei es für manche Händler sicherer, die Lebensmittel zu vernichten. Oder unsachgemäße Lagerung: „Viele wissen nicht, dass bestimmte Lebensmittel nicht gemeinsam aufbewahrt werden sollen“, sagt Birkmaier. Äpfel etwa würde die Reifung anderer Lebensmittel beschleunigen. Ebenso würden viele nicht wissen, dass man Paradeiser nicht im Kühlschrank aufbewahren soll, weil sie so ihren Geschmack verlieren.

Eine andere Falle, in die Konsumenten immer wieder tappen würden, seien ungeplante Einkäufe, obwohl Kühl- und Vorratsschrank noch gut gefüllt sind.

Regal sollen nicht leer stehen

Gründe im Handel sieht die Forschung in der Variantenvielfalt, die der Handel den Konsumenten gern bieten möchte, ebenso wie im Überbestand – schließlich sollen die Regale nicht leer stehen. Daneben habe es der Handel oft mit sehr rigiden Verträgen mit den Lieferanten zu tun, die unter anderem bestimmte Bestellfrequenzen oder Mindestbestellmengen vorsehen. Und schließlich erlebe man „unzureichende Prognosequalität, weil die Bedarfsplanung häufig noch auf sehr alten Algorithmen basiert.“ Dabei: „In der Forschung passiert momentan sehr viel im Bereich des maschinellen Lernens. Diese Innovation in die Unternehmen zu bringen, dauert in der Regel längere Zeit. Deswegen können die Potenziale erst deutlich später genutzt werden.“

Dem Problem, dass viele Lebensmittel zur falschen Zeit in der falschen Menge am falschen Ort vorhanden sind, möchte „Appetite“ entgegenwirken, sagt Birkmair über ihr Projekt. Ziel sei, genauere Vorhersagen über das Geschehen am Point of Sale (POS) treffen zu können. Oder anders gesagt: „Wir wollen die optimierte Zuteilung von verderblichen Lebensmitteln auf regionaler Ebene berechnen.“ Mit der Konsequenz, dass es dadurch einerseits weniger out-of-stocks, also leere Regale, gibt. Und andererseits weniger Überbestände auftreten.

Thomas Rudelt
Thomas RudeltJan Hetfleisch

»Für die Kunden ist der Vorteil eines funktionierenden Prognosetools doppelt: Die Warenverfügbarkeit wird sichergestellt und die Frische der Ware gewährleistet.«

Thomas Rudelt

METRO Österreich

Ein zweiter Effekt sollen optimierte Lieferprozesse sein. Dadurch, dass optimierte Lkw-Kapazitäten für unternehmensübergreifende Transporte berechnet und Leerfahrten verringert werden können.

Der Einsatz von KI sei deshalb notwendig, sagt Birkmaier, weil für Menschen die ungeheure Fülle an Daten schlicht nicht überblickbar und damit verwertbar sei. „Die Korrelationen sind für den Einzelnen nicht mehr erkennbar. Deshalb setzen wir hier maschinelles Lernen ein. Die KI hilft dabei, Muster in diesen Daten zu erkennen.“ Lebensmittelverschwendung „lässt sich durch KI nicht wegprognostizieren, aber immerhin reduzieren“.

Auch wenn es bis zur Fertigstellung der konkreten Anwendung aus dem „Appetite“-Projekt noch einige Zeit dauern wird, sagt Rudelt: „Wir erwarten uns von diesem Tool exaktere Prognosen für die benötigten Lebensmittelmengen für die unterschiedlichen Regionen – abhängig von Wetterprognosen und diversen anderen Einflüssen auf das Kundenverhalten. Wenn exakter bestellt werden kann, ist dies ein Vorteil für METRO, da weniger Ware vernichtet werden muss, falls zu viel bestellt würde. Für die Kunden ist der Vorteil eines funktionierenden Prognosetools doppelt: Wenn die Nachfrage größer wird, ist die Warenverfügbarkeit sichergestellt, wenn die Nachfrage geringer ist, ist die Frische der Ware gewährleistet, da keine Überhänge im Lager verbleiben.“

Mutig Neues ausprobieren

Und noch einmal zurück zur Verschwendung. Was können die Politik, Unternehmen und Konsumenten gegen die Lebensmittelverschwendung tun, lautete die Frage beim METRO-Event in Alpbach? Die Politik kann den Rahmen schaffen und Aufklärung betreiben. Außerdem Förderungen und Anreize schaffen, Lebensmittelverschwendung zu verhindern. Die Unternehmen können die Forschung forcieren, um neue Konzepte mit Partnern aus Wissenschaft und Praxis zu erproben. Auch das sei ein Aspekt von „Bold Europe“, wie es das Europäische Forum Alpbach in diesem Jahr als Motto postuliert hat: experimentieren und mutig Neues ausprobieren.

Und schließlich die Konsumenten: Sie müssen ihr eigenes Kaufverhalten gründlich hinterfragen.

metro.at


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