Interview

Pablo Larraín: „Keine Rede von Aufarbeitung“

Der chilenische Regisseur Pablo Larraín hat bewusst die Satire für seinen Film gewählt. Anders hätte er sich dem Thema nicht nähern können.
Der chilenische Regisseur Pablo Larraín hat bewusst die Satire für seinen Film gewählt. Anders hätte er sich dem Thema nicht nähern können.Cristiano Minichiello
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Der chilenische Regisseur Pablo Larraín setzt sich in seinem neuen Film mit dem Vermächtnis von Augusto Pinochet auseinander. Ein Gespräch über den Riss in der chilenischen Gesellschaft und den Wunsch, dass seine Zuseher niemals Empathie für seine Hauptfigur entwickeln.

Wenn der chilenische Regisseur Pablo Larraín nicht gerade in prominent besetzten Filmen wie „Jackie: Die First Lady“ oder „Spencer“ ikonische Frauenfiguren beleuchtet, widmet er sich immer wieder umstrittenen politischen Themen in seiner Heimat. Sein neuer Film, „El Conde“, stellt da keine Ausnahme dar, setzt er sich darin doch mit dem Vermächtnis von Augusto Pinochet auseinander – und zeigt den einstigen Diktator als ewig lebenden Vampir. Beim Filmfestival in Venedig wurde die bittere Satire gerade mit dem Drehbuch-Preis ausgezeichnet. Die „Presse am Sonntag“ traf Larraín am Tag der Weltpremiere auf dem Lido zum Interview. 

Herr Larraín, wann kam Ihnen zum ersten Mal die Idee, Augusto Pinochet als Vampir zu zeigen?

Pablo Larraín: Erstmals hatte ich den Gedanken vor vielen Jahren, als ich Schwarz-Weiß-Fotos eines argentinischen Fotografen sah, auf denen man Pinochet und seine Generäle in langen Umhängen sah. Ich fand es reizvoll, reale Geschichte mit dieser popkulturellen Figur des fliegenden Blutsaugers zu kombinieren. Und im Fall von Pinochet ist diese Metapher besonders naheliegend. Schließlich starb er als freier Mann, millionenschwer und ohne je bestraft worden zu sein. In Argentinien oder Uruguay wurden Machthaber wie er vor Gericht gestellt und landeten im Gefängnis, was bedeutet, dass es da eine gewisse Aufarbeitung und dadurch einen Heilungsprozess gab. Oder zumindest steht der Gedanke im Raum, dass sich so etwas nie wiederholen darf. In Chile hat es all das nicht gegeben. Durch Pinochets Straffreiheit umweht ihn bis heute eine Art Unsterblichkeit, ein Gefühl von Ewigkeit. Wie bei einem Vampir eben.

Gerade stand in Chile der 50. Jahrestag seines Militärputsches an. Da ist Pinochet in Ihrer Heimat vermutlich präsenter denn je?

Ganz allgemein ist die Erinnerung an ihn dieser Tage lebendiger denn je – und stellt einen tiefen Riss durch unsere Gesellschaft dar. Denn rund ein Drittel der chilenischen Bevölkerung sagt heute noch, dass Pinochet ein großartiger Mann war. Eben weil es nie eine gründliche Aufarbeitung gegeben hat und damit auch keinen Konsens eines „nunca más“, eines „nie wieder“. Dafür gibt es sicherlich eine Vielzahl von Gründen, aber die Tatsache, dass er sich nie einem Prozess stellen musste, ist sicherlich der wichtigste. Deswegen steht am Beginn meines Films auch der bittere Witz, dass Pinochet darunter leidet, dass man ihm vorwirft, ein Dieb zu sein. Nicht etwa, dass er die Menschenrechte mit Füßen getreten hat.  

War Ihnen von Beginn an klar, dass Sie sich dem Thema nur als Satire nähern können?

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