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Podiumsdiskussion

Lösungen für Lieferengpässe  bei Medikamenten

Als Experten zu Gast (v.l.): Jan Pazourek, Büroleiter, Dachverband der Sozialversicherungsträger, Josef Smolle, Nationalratsabgeordneter, Gesundheitssprecher der ÖVP, Michaela Wlattnig, Vorsitzende der österreichischen Patienten- und Pflegeanwälte, Thomas W. Veitschegger, Präsident des Österreichischen Apothekerverbands, und Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes.
Als Experten zu Gast (v.l.): Jan Pazourek, Büroleiter, Dachverband der Sozialversicherungsträger, Josef Smolle, Nationalratsabgeordneter, Gesundheitssprecher der ÖVP, Michaela Wlattnig, Vorsitzende der österreichischen Patienten- und Pflegeanwälte, Thomas W. Veitschegger, Präsident des Österreichischen Apothekerverbands, und Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes.Roland Rudolph
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Diskussion. Wie ist der aktuellen Arzneimittelknappheit kurz-, mittel- und langfristig beizukommen? Ein Experten­gespräch über das neue Preisband, die Transparenz von Lieferketten und den Wunsch nach Produktion in der EU. 

Der letzte Winter war geprägt von anhaltenden Lieferengpässen bei Standardmedikamenten wie etwa Antibiotika, Schmerzmitteln und Asthmasprays. Wurden seitens der Verantwortlichen die richtigen Lehren aus diesen Monaten gezogen? Kann sich die Bevölkerung künftig auf eine gesicherte Versorgung mit den wichtigsten Arzneimitteln verlassen oder drohen sich die Ereignisse vom vergangenen Winter zu wiederholen? Diesen brisanten Fragen stellte sich Mitte September eine Expertenrunde unter der Leitung von „Presse“-Fachmann Köksal Baltaci.

Neues Preisband in der Kritik

Den ersten Teil der Diskussion prägte die Debatte rund um das neue Preisband, das vom Dachverband der Sozialversicherungsträger festgesetzt wurde. Demnach gilt ab 1. Oktober 2023, dass der Höchstpreis eines erstatteten Arzneimittels nur mehr maximal 20% über dem Preis des günstigsten wirkstoffgleichen Arzneimittels (Generikum) liegen darf. Bisher betrug diese Spanne 30%.

„Das Preisband war ursprünglich ein Anliegen der Industrie, weil man in vielen Ländern Europas Medikamente (zu) billig einkaufen konnte“, erläutert Jan Pazourek, Büroleiter im Dachverband der Sozialversicherungsträger. „In Österreich sehe ich den Sinn des Preisbands darin, dass es in der Lage ist, die volle Härte des Wettbewerbs abzumildern. Das sorgt am Ende des Tages für Anbietervielfalt.“

Wenig Verständnis für diese Argumentation zeigt Wolfgang ­Andiel, Präsident des Österreichischen ­Generikaverbandes: „Wir fürchten uns nicht vor der Härte des Wettbewerbs. Ich glaube eher, dass sich der Dachverband vor den Mechanismen des Marktes fürchtet.“ De facto stuft Andiel das neue Preisband als „vollkommen kontraproduktiv“ ein: „Werden Preise weiter gedrückt, kann man sich doch nicht erwarten, dass dies die Versorgung verbessert.“ Andiel kritisiert zudem, dass der Höchstpreis künftig anhand der am häufigsten verschriebenen Dosierung festzulegen ist. „Wenn höhere Wirkstoffstärken keinen höheren Preis haben dürfen, kann das dazu führen, dass 300 mg zum Preis von 25 mg abgegeben werden müssen. Das kann bei höheren Dosis­stärken niemals kostendeckend sein.“

Kritik am neuen Preisband kommt ebenfalls von Josef Smolle, Nationalratsabgeordneter und Gesundheitssprecher der ÖVP: „Wenn die neuen Preise wirtschaftlich nicht mehr vertretbar sind, werden Anbieter vom Markt verschwinden. Am Ende werden wichtige und gut eingeführte Produkte nicht verfügbar sein und von teuren ersetzt werden müssen.“ Schließlich müsse ein kleines Land, das schlecht zahle, damit rechnen, dass jene Länder, die den Marktpreis zahlen, bevorzugt beliefert werden.

»Wir haben schon bisher viel geleistet und die Lieferkrise ist nicht zu ­Ende. Dieser Mehr­aufwand muss ­honoriert werden. ­Es ist an der Zeit, die Arbeitstaxen anzuheben.«

Thomas W. Veitschegger 

Präsident des ­Österreichischen Apothekerverbands

Dass das Preisband zu Preissenkungen bei Wirkstoffgruppen führt, die rund 850 Arzneimittel betreffen, erfüllt auch den Präsidenten des ­Österreichischen Apothekerverbands, Thomas W. Veitschegger, mit Sorge: „Diese Preisreduktionen werden die schon bisher angespannte Versorgungssituation weiter verschärfen. Lieferengpässe werden zunehmen.“ Veitschegger rechnet zudem damit, dass sich der Arbeitsaufwand in den Apotheken zusätzlich erhöht und dies bei vielen zu großen wirtschaftlichen Belastungen führt.

Keine Freude mit der Neuregelung hat auch Michaela Wlattnig, Vorsitzende der österreichischen ­Patienten- und Pflegeanwälte: „Das neue Preisband ist nicht im Sinne der Patienten, die es künftig noch schwerer haben werden, die gewünschte Leistung zu fairen Preisen zu bekommen.“ Für die Patienten bedeute etwa der Dosierungspassus, dass sie künftig möglicherweise zwölf statt einer Tablette einnehmen und zugleich mehrfach Rezeptgebühren entrichten müssen. „Unzumutbar!“ Wlattnig geht so wie Andiel, Smolle und Veitschegger davon aus, dass sich die Versorgungslage mit dem neuen Preisband insgesamt eher verschlechtern, denn verbessern wird.

Langfristige Lösungswege

So düster die Aussichten bezüglich der Lieferengpässe kurzfristig zu sein scheinen, so einig sind sich die Experten, was mittel- und langfristig zu tun ist, um die Liefer- und Versorgungsnot zu lindern. An erster Stelle wird unisono der Wunsch nach mehr Transparenz der Lieferketten und der Stärkung der europäischen Arzneimittelproduktion genannt.

In Sachen Transparenz plädiert Josef Smolle für eine Liste, die anführt, was gerade warum nicht lieferbar ist und die elektronisch hinterlegt wird, damit alle betroffenen Player in Echtzeit informiert sind. „Und in Bezug auf die Rückholung der Produktion ist es wichtig, innovative Wege zu gehen“, so Smolle mit Verweis auf ein an der Uni Graz entwickeltes Vorzeigeverfahren (Stichwort: Continuous Manufacturing), bei dem an der Herstellung von Produktionsstraßen gearbeitet wird, mit denen auch mittelgroße Mengen schneller produziert werden können. Weiter tritt Smolle für eine Einigung auf „ausgewogene Preise“ ein, die gerade für lebenswichtige Arzneimittel gut investiertes Geld seien.

Auch seitens der Apotheken wünscht man sich eine erhöhte Transparenz in der Lieferkette. Durch eine bessere Übersicht über die Bestände sowie durch Bewertungssysteme für die Robustheit der Lieferketten könnten Schwachstellen und Handlungsbedarf aufgedeckt werden. Ein Frühwarnsystem kann Unregelmäßigkeiten, beispielsweise im Transport, vorhersagen, sodass die beteiligten Akteure entsprechend schneller auf Herausforderungen reagieren können.

Eine von Experten aller Lager seit Langem geforderte Maßnahme ist das Zurückverlagern von Medizinprodukte-Produktion sowie ­-Lagerung nach Europa. Hierzu bedarf es wohl konkreter Schritte vonseiten der Politik auf europäischer Ebene. Es gibt etwa Diskussionen über ein „Made in Europe“-Siegel, mit dem die Hersteller eine Produktion in Europa nachweisen. Das könnte den Standort stärken.

Thomas Veitschegger hebt die besondere Lage der Apotheken hervor: „Wir haben viel geleistet in der Krise und die Lieferkrise ist nicht zu Ende. Der Mehraufwand muss honoriert werden. Es ist an der Zeit, die Arbeitstaxen anzuheben.“ Jan Pazourek pflichtet dem bei: „Dass man die Apotheken unterstützen muss und wir über das Geld zu reden haben, ist ganz klar.“ Zugleich möchte der Vertreter des Dachverbands der Sozialversicherungsträger die Industrie in die Pflicht nehmen. „Mir stellt sich manchmal die Frage, ob Anbieter nicht liefern können oder eher nicht liefern wollen. Eigentlich gehen ja Firmen mit uns einen Vertrag ein, um im Erstattungskodex gelistet zu sein. Vertraglich haben sie eine Lieferverpflichtung, aber wir können das nicht wirklich einfordern. Unsere Waffen sind leider stumpf, wenn jemand nicht liefern will“, so Pazourek, der sich von der Industrie künftig eine bessere Planung als Krisenvorsorgemaßnahme wünscht.

„Das Problem bei der Planung ist, dass wir den tatsächlichen Bedarf an Medikamenten und seine Entwicklung einfach nicht kennen“, entgegnet Wolfgang ­Andiel, der zudem den Vorwurf, die Industrie wolle nicht liefern, als Unterstellung zurückweist: „Tatsache ist, dass es in Europa rund 400 Generikahersteller gibt, die alle unter Volllast laufen. Anders ließe sich die Produktion gar nicht finanzieren. Zu erwähnen ist auch die jahrelange Austrocknung des patentfreien Segments. Deshalb müssen Unternehmen Einsparungen bei der Produktion erzielen, um Marktpreise erreichen zu können.“ Der Industrie die Schuld in die Schuhe zu schieben, sei nicht sinnvoll: „Eine gesamthafte, für alle zufriedenstellende Lösung geht nur mit der Industrie und nicht gegen sie.“

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Die Seiten beruhen auf einer Medienkooperation mit der „Presse“ und sind mit finanzieller Unterstützung vom Österreichischen Apothekerverband entstanden.


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